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Kultur: Zu schön, um wahr zu sein

Karl-Heinz Hänel bietet im Alten Rathaus die Toscana in Jahreszeiten – wohlfeil

Oft will der Mensch sogleich haben, was er sieht. Die alte Landschaft Tuscien ist nun zwar nicht wohlfeil, neuerdings aber steht es jedermann frei, sie zu besuchen, um sie wenigstens dergestalt „in Besitz“ zu nehmen: Dazu laden 14 Farbfotografien im Alten Rathaus ein, Panorama-Bilder aus dem Val d''Orcia nahe Pienza, Toskana.

Der freie Reisejournalist und Fotokünstler Karl-Heinz Hänel aus Kiel hat sie in den vier Jahreszeiten „geschossen“ und im Verbund mit „Il Ponte“ in die Öffentlichkeit gebracht. Dem treppauf steigenden Besucher winken nicht nur das Mai-Bild „Tal vor dem Monte Amiata" – dem heiligen Berg der Toscana – sowie desselben Tales majestätische Erscheinung im September entgegen, sondern auch ein Jahreskalender in Fin-Art-Qualität von genau einem Meter Breite, den man im Alten Rathaus zum halben Preis von nur 49 Euro kaufen kann.

Wer noch kein angemessenes Weihnachtsgeschenk hat, sollte vielleicht zugreifen, hinfahren kann man ja immer noch. Per Internet preist Hänel, als vertiefende Zugabe, seinen „magischen Reiseführer“ an, alles „zum Wohlfühlen“, vorher und nachher: „Für weniger als 20 Cent bekommen Sie eine tägliche Dosis magischer Ausstrahlung meiner Traumlandschaften“. Die Bilder mit Nebeln, erdfarbenen Tönungen oder völlig in Grün haben eine ganz eigene Ästhetik – und davon mehr als genug. Was der Fotograf da durch alle Jahres- und Tageszeiten aufgenommen hat, die Morgennebel über dem Bach Sambuco im Oktober, ein Zypressenwäldchen bei San Quirico im Juli oder den weiten Blick „nach Südosten bis nach Radicofani“ im Januar, ist zweifellos schön.

Toskanisches Land scheint bei ihm stets in zwei Teile zu zerfallen. Im Vordergrund findet man die Farben der Zeit, in Grün, Rot, Braun oder Blau blühenden Mohn, weidende Schafe, Pinien, die typisch allein stehenden Gehöfte, indes sich der bergige Hintergrund stets von grauer Dominanz erweist. Die Höhen indes bestimmen den Fokus, auch Hügel, wenn sie aus Tiefnebeln ragen wie Inseln aus dem Meer. Alles scheint von ästhetischer Hand geformt, und der betriebsame Schöngeist Hänel folgt diesen sanften Schwingungen oder Wellen nach. Seine Panoramen, von der halbierten Bildhöhe raffiniert unterstützt, zwingen den Blick in Breite und Tiefe. Höhere Himmel hätten andere Bilder erzeugt, letztlich macht er erst die Landschaft.

Die ausgestellten Originale zielen nun auf das Perfekte, sie schmücken jeden Raum aus der Ferne, lockende Reize für Schwärmer, Bilder mit angeblich „positiver Wirkung“ auf das Gemüt. Die Toskana als Arzt, Hänels eigene „Seelenlandschaft“ als Kalenderblatt an der Wand?

Seit der Renaissance weiß man, wie unzufrieden das Auge wird, wenn nichts das Harmonische stört. Es erträgt Vollkommenheit nicht. Diese Exponate wirken tatsächlich auf den ersten Blick wie gemalt, beim zweiten sucht man nach Leben, das, woran ein Blick sich riebe: Hänels Bilder sind zu schön, um wirklich wahr zu sein. Gerold Paul

bis zum 3. Januar

Gerold Paul

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