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Von Gerold Paul: Zu viel Psychologie

„Das letzte Feuer“ im Hans Otto Theater

Stand:

Geschichten lassen sich versimpeln oder verkomplizieren. Wie man aus einer einfachen einen höchst komplizierten und, da es hier um Dramatik geht, schwer zu verdauenden Theaterabend machen kann, zeigt die süddeutsche Bühnenautorin Dea Loher mit ihrem Stück „Das letzte Feuer“. Regisseur-Intendant Tobias Wellemeyer hatte es in seiner Magdeburger Zeit „episch“ inszeniert, und Personage und Stück ans Potsdamer Ufer der Havel gebracht. Hier erlebte das ausgezeichnete „beste Stück des Jahres 2008“ und mit dem „Mühlheimer Dramatikerpreis 2008“ ausgezeichnet am Sonntag im nicht ausverkauftem HOT seine Wiederaufnahme. Ob seiner sozial-psychologischen Anlage und existentieller Bohrereien hätte es auf eine Kammer- und nicht die große Bühne gehört.

Dea Loher führt in ihren konfliktüberfrachtetem Text zwei eigentlich einfache Vorgänge zusammen: die Folgen des Unfalltodes von Kind Edgar für dessen Eltern nebst Umfeld, zweitens die Story des schwer traumatisierten Kriegsheimkehrers Rabe in Gestalt von René Schwittay. Um ihre höchst komplizierte und nicht gerade gut motivierte Geschichte ins Laufen zu bringen, kolportiert sie jede Menge Gegenwart: Edgars Vater Ludwig (Axel Strothmann) geht mit der brustamputierten Karoline (Susanne Krassa) fremd, die immer größere Körbchen probiert. Als diese mit der identitätsverwirrten Edna (Katharina Brankatschk) Liebe findet, kommt Homosexualität ins Spiel. Edgars Mutter (Meike Finck) wiederum bändelt aus lauter Verzweiflung mit dem kaputten Krieger an, der nicht viel mehr als schreien und pressieren kann. Zur ungefälligen Nebenhandlung zählen Ludwigs Alzheimer-Mutter (Gisela Hess), von ihrem eigenen Filius in der Badewanne abgemurkst, irgendein Olaf (Eddie Irle) hinter irgendeiner beschmierten Milchglasscheibe und mit Jon-Kaare Koppe als Peter die einzig lebendige, gar zauberhafte Figur des Abends.

Episch heißt, dass jeder mal eine Regieanweisung spricht, daß Wort und Handlung nicht unbedingt kongruent sein müssen, dass es für die Figuren keine Abgänge gibt. Alle bleiben stets auf der viel zu großen Bühne, nach Alexander Wolf als verlassenes Großraumbüro oder als verschmuddelte Etagenwohnung zu deuten.

Hier nun toben skurrile, psychologische, oder sonstwelche Trauma-Verarbeitungs-Schlachten, die allein Dea Loher zu verantworten hat. Sie zwingt ja die Figuren mit aller Gewalt in ihr unübersichtliches Konstrukt, ob sie nun wollen, oder nicht. Autorenbedingte Konflikt-Stapelei – Fragen nach Gott, nach dem Dasein jenseits eines Kindstodes, nach Liebe, Leben, Haß, Vergebung, ja Erlösung – beziehungsweise Wellemeyers Verzicht, sich auf ein Thema zu konzentrieren, führte zu einer verkrampften Stück-Ökonomie und zur Dezentralisierung der Gefühle. Weil man weder der Inszenierung noch ihrer Personage Zeit zum Werden und Reifen einräumte, zerfetzten sich die armen Gestalten, außer Peter von Jon-Kaare Koppe, nur noch völlig humorlos bis zur Lächerlichkeit. Für die stilistische Fülle des besten Stückes 2008 – realistische Szenen standen neben verträumten und symbolischen – fand die Bühne meist nur eine Antwort: Psychologie! Etwas Verfremdung, sei es durch Maskenspiel oder einfach nur etwas Ironie hätte das Stück sofort und gründlich verändert, denn Abstand ist immer gut. Doch so blieb nur purer Realismus.

Der und das ganze Psychologisieren aber reichten nicht aus, das Parkett zu beeindrucken, trotz des lobenswert existentiellen Ansatzes. Es blieb ein Kraftakt, ein verkomplizierter Gang nach Canossa. Unsicher blickten dann auch die Augenpaare der acht Darsteller beim Schlussapplaus ins Parkett. Gerold Paul

Gerold Paul

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