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Kultur: Zu viel Zeit, zu viele Gedanken

DeGater’87 mit „Der stumme Diener“ von Harold Pinter im Waldschloss

Stand:

DeGater’87 mit „Der stumme Diener“ von Harold Pinter im Waldschloss Sie warten, denn sie haben Zeit. Sie warten bis das Telefon klingelt und die üblichen Anweisungen für ihren Auftrag gegeben werden. Dann, wenn sie ihren Job erledigt haben, werden sie unerkannt verschwinden und auf den nächsten Auftrag warten. Doch bis Ben und Gus ihren Job machen können, müssen sie warten, haben Zeit, die ihnen immer mehr zur Last wird. In Harold Pinters Theaterstück „Der stumme Diener“ (1960) ist die Zeit der große Gegenspieler der Profikiller Ben und Gus. Und ein unbekannter, diffuser Auftraggeber. Mit Pinters 60minütigem Einakter, der im Waldschloss Premiere feierte, verabschiedet sich die freie Theatergruppe DeGater´87 von ihrer bisherigen Spielstätte. Heidi Schollähn hat mit ihrem Bühnenbild die beiden Gangsterkarikaturen Ben und Gus in einen grell-sterilen Raum gesetzt. Zwei Türen, in Ecken gezwängt, die einzigen Wege nach draußen. Hier warten die beiden. Und mit der ersten Spielminute wird die Spannung spürbar, die auf ihnen lastet. Chris Urwyler als Ben, jung und agil, schnittig in seiner Kleidung, schleicht wie ein Panther durch das Zimmer. Ständig die Hand am Revolver, lässt er einen spüren, dass er den Auftrag endlich hinter sich bringen will. Dominik Stein gibt einen zerknautschten, fast schon zerlebten Gus, in zerknitterter Kleidung, die duckmäuserische Buchhaltertype, der mit nervösen Blicken seinen Partner beobachtet. Wie so vieles in diesem Stück, wo der Zuschauer erst durch die Gespräche zwischen Ben und Gus erfährt, dass die beiden in Birmingham warten, dass sie schon länger zusammen arbeiten, Auftragskiller sind, kristallisiert sich erst langsam das Verhältnis der beiden zueinander heraus. Ben dominiert, Gus gibt sich unterwürfig, aber immer wieder Spitzen gegen den unruhigen Ben schießend. Das Warten, das Ungewisse, wann sie endlich den Anruf erhalten, hat sie zu reizbaren Tieren gemacht, die immer wieder aufeinander losgehen und die, nicht von Komik freie, Situation fast zum Eskalieren bringen. Urwyler und Stein agieren hervorragend miteinander, zeigen schon im Äußerlichen, in ihrer Haltung, die Gegensätze des so ungleichen Paares, die noch stärker werden, als Gus anfängt, ihren Job zu hinterfragen. Zu viel Zeit bringt zu viele Gedanken. Durch einen vorherigen Auftrag, wo sie ein Mädchen umbrachten und dessen Tod Gus immer noch beschäftigt, stellt er Fragen, denen Ben mit Anweisungen ausweicht. Anweisungen, Tee zu kochen, um so Rituale einzuhalten, die bisher scheinbar funktionierten, alles so laufen zu lassen, wie es bei jedem anderen Auftrag war. Und so bleibt Gus auch der einzige, der sich über die seltsamen Vorgänge wundert. Da werden fehlende Streichhölzer unter der Tür durchgeschoben. Öffnet sich plötzlich der kleine Lastenaufzug, der stumme Diener, in der Wand und gibt Bestellzettel für unterschiedliche Speisen frei. Elemente des Absurden, die Autor Pinter hier einführt, um die zwanghafte Ordnung im Leben der beiden Killer durcheinander zu bringen. Langsam scheint die Situation zu kippen. Ben bleibt Befehlsempfänger, improvisierend auf die Speisenwünsche eingehend. Er dort unten im Keller, letztes Glied in einer Hierarchie, befolgt, egal was auch immer für ein Auftrag von oben kommt. Auch Gus fügt sich, bleibt aber skeptisch. Regisseur Jens-Uwe Sprengel beweist Fingerspitzengefühl mit seiner Inszenierung. Das langsam aufkommende, gegenseitige Misstrauen, das Ben und Gus befällt, es überträgt sich auf den Zuschauer. Das Finale endet vor dem eigentlichen Höhepunkt. Und so wird die Ungewissheit, die auf Ben und Gus lastete, zur Ungewissheit des Zuschauers, auf welche Weise beide den Keller verlassen werden. Dirk Becker

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