Kultur: Zuckersüße Kussschnuten

Zuerst „die Schultern an den Ohren aufhängen“. Dann gut schütteln, den Oberkörper entspannen, nach vorne fallen lassen. Anschließend das beste: die Kussschnute üben. Man kichert und grinst sich kussmäulig zu. So richtig klappt es noch nicht, also Hausaufgabe an alle: küssen üben. Zwei Spaßvögel in der ersten Reihe fangen schon mal laut schmatzend an.

Es ist Dienstag, kurz nach 17 Uhr. Probenbeginn für den Kinder-und Jugendchor der Potsdamer Singakademie. Nicht alle der 35 aktiven Mitglieder sind heute erschienen: Grippezeit. Das Stimmbruch- alter schmälert Tenöre und Bässe, zur Zeit gibt es nur fünf Jungen. Die meisten von denen, die im Probenraum des Nikolaisaals versammelt sind, haben bereits einen langen Schultag hinter sich. Die Jüngsten, vor wenigen Monaten erst aus dem Spatzenchor dazugekommen, sind zappelig, die Älteren würdevoll erschöpft. Keine ganz leichte Aufgabe also, dieses Gemisch von Temperamenten und Altersgruppen zu einer klanglichen Einheit zu verschmelzen. Aber Konstanze Lübeck, seit drei Jahren Leiterin des Chores, lässt sich nicht leicht verdrießen. Müdigkeit und falschen Tönen begegnet sie mit Humor und Energie.

Der Chor ist offen für alle ab der vierten Klasse, die gern singen. Die Jüngsten sind erst 10, die Ältesten schon 19. Für Konstanze Lübeck jedoch kein Hindernis, sondern eine Bereicherung. Es sei einfach toll, zu sehen, wie die Großen sich um die Kleinen kümmern, dafür sorgen, dass keiner lange fremd bleibt. Auch die jährliche Chorfahrt nach Heringsdorf mit Neptunfest und Sandburgenwettbewerb schürt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Einmal konnte sie wegen einer Erkältung nicht proben und fragte stattdessen die Kinder und Jugendlichen, warum sie eigentlich da wären. Um Freunde zu treffen, war ein Grund. Die häufigste Antwort aber, die schönste: weil Singen irgendwie „einfach zum Leben dazu gehört“.

Ähnlichen selbstverständlich antwortet Konstanze Lübeck auf die Frage, was sie denn am Chorleiterberuf so begeistere. „Als ich anfing mit Kindern zu arbeiten, habe ich mir einfach den Virus eingefangen. Den Chorleitervirus. Und bin dann nicht mehr davon losgekommen!“ Von Heilung keine Rede. Seit 1980 arbeitet sie – zunächst als Assistentin, ab 1999 dann als Leiterin des Spatzenchores – mit der Singakademie zusammen. Was den Virus so ansteckend macht? Die eigene Begeisterung für die Musik an junge Menschen weiterzugeben. „Das Schönste ist, wenn man mitkriegt, wie unbekannte Lieder durch die Proben langsam zu Ohrwürmern werden.“

Mit ihrem Liedrepertoire will Konstanze Lübeck vor allem eines: „Futter geben“. Also nicht nur Bekanntes singen, sondern auch inspirieren. Und: „Um Gottes Willen nicht nur englische Lieder!“ Zwar weiß sie, dass es keinen Sinn macht, Lieder zu proben, bei denen man auf Mauern stößt. Deshalb werden auch eingängige Soulstücke geprobt, oder Lieder aus dem Film „Die Kinder des M. Mathieu“. Aber manchmal ist sie auch kompromisslos: „Deutsche Volkslieder müssen sein.“ Vom „Heidenröslein“ hat sie sich trotz einigen Murrens nicht abbringen lassen. Und demnächst wird Georg Philipp Telemannns Kantate „Der Schulmeister“ in der Sternkirche zu hören sein, in der Hauptpartie ein Abiturient aus dem Jugendkammerchor.

Ehrgeizig ist auch das Projekt, auf das der Chor momentan hinarbeitet. Am 16. und 17. Juni findet der „4. Erwitter Kinder- und Jugendchorwettbewerb“ statt, über 40 Chöre aus ganz Deutschland nehmen teil. Höchstens 15 Minuten, um eine Jury von sich zu überzeugen. Konstanze Lübecks Strategie: „Fünf Lieder in fünf Sprachen: Hebräisch, Französisch, Tschechisch, Deutsch und Englisch.“ Noch ist viel zu tun, bei „Sur le Pont d“Avignon“ schäppert es noch gewaltig. Ein Grund zum Aufgeben? Im Gegenteil: „Das Ganze noch einmal, bis zum Zusammenbruch!“

Der Kinder-und Jugendchor probt dienstags ab 16.45 Uhr. Kontakt: Singakademie Potsdam e.V. Tel. 0331/ 2706450.