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ZUR PERSON: „Zugrunde gegangen am Liebeswahn“
Peter Schneider über das Buch „Die Lieben meiner Mutter“, das er am Samstag in Potsdam vorstellt
Stand:
Herr Schneider, was ist das für ein Gefühl, die Liebesbriefe der eigenen Mutter zu lesen?
Ein eigenartiges Gefühl. Aber in meinem Fall kam da noch etwas ganz anderes hinzu. Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war. So war es für mich wichtig, überhaupt Briefe meiner Mutter zu lesen.
Die Briefe, die auch die Grundlage für Ihr Buch „Die Lieben meiner Mutter“ waren, hatten Sie jahrzehntelang in einem Schuhkarton gelagert. Warum haben Sie diese erst so spät gelesen?
Weil ich die Briefe vorher einfach nicht lesen konnte, denn meine Mutter hat in Sütterlin geschrieben. Ich habe es zwar immer mal wieder versucht. Aber erst durch professionelle Hilfe wurden dieser Briefe einer nach dem anderen für mich lesbar.
Was für eine Frau haben Sie durch diese Briefe kennengelernt?
Eine Frau, die viel komplexer war, als ich sie mir vorgestellt hatte. Ich kannte sie ja nur als Mutter und hier auch nur kurz. Jetzt aber lernte ich sie als Ehefrau und auch noch als Liebhaberin kennen. Das ist schon eine merkwürdige Sache. Dann hat mich völlig überrascht, wie gut sie schreiben konnte. Das hat auch meine Pläne völlig durcheinandergebracht.
Ihre Pläne für das Buch?
Ja, ursprünglich wollte ich die Geschichte in einem Roman erzählen. Aber ich wusste schnell, dass ich diese schönen Briefe nicht einfach außen vorlassen konnte. Dadurch entstand diese Zwitterform von „Die Lieben meiner Mutter“ zwischen Sachbuch und Roman.
Sie erzählen in dem Buch von Ihrer Kindheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit im bayrischen Dorf Grainau und von der Dreiecksbeziehung Ihrer Mutter zu Ihrem Vater und dem besten Freund Ihres Vaters. Eine aufwühlende und gleichzeitig sehr berührende Geschichte.
Und bei all dem Lebenshunger und der enormen Energie meiner Mutter waren da die depressiven Schübe und das Schwere in diesem Leben. Meine Mutter ist an den Überforderungen zugrunde gegangen. Dieser ganze Bogen, diese großen Ausschläge der Empfindungen, haben mich auch sehr berührt.
Ihre Mutter war eine sehr emotionale, in ihrer Liebe aber auch eine sehr klare und sehr fordernde Frau. Kann es sein, dass sie an ihrem fast maßlosen Liebesverständnis krank geworden ist?
Ich habe schon den Eindruck, dass diese gewaltige und durch die schwachen Antworten des Geliebten auch so vergebliche Liebe eine ständige Kraftvergeudung gewesen ist. Und so ist sie auch an diesem Liebeswahn zugrunde gegangen. Auf der anderen Seite kann man es aber auch völlig anders sehen. So frage ich mich immer wieder, ob diese exaltierte Liebe nicht auch ein Schutz war gegen das ganze Grauen, das sie umgeben hat in jener Zeit. Wir sind mitten im Zweiten Weltkrieg, in einer Zeit, in der die Städte bombardiert werden. In einer Zeit, in der alles auf einmal vorbei sein konnte. Ich glaube, das verändert auch die Regeln und Prioritäten.
Gab es Momente während der Arbeit an Ihrem Buch, in denen Sie vielleicht doch gezögert haben, aus diesen sehr persönlichen Briefen Ihrer Mutter zu zitieren?
Ja, die gab es durchaus. Und natürlich bleibt auch immer die Frage unbeantwortet, ob das nun richtig war oder nicht. Meine Mutter kann ich da ja nicht mehr fragen. Aber würden wir das grundsätzlich ablehnen, gäbe es all die vielen Mütter- und Väterbücher nicht. Außerdem gibt es nicht eine Stelle, wo ich das Gefühl habe, ich hätte meine Mutter denunziert. Meine Mutter hat großen Wert auf das Schreiben gelegt, spricht immer wieder von ihrem Wunsch zu schreiben. Sie hatte nicht das Selbstbewusstsein, zu sagen, dass sie sich als Schriftstellerin empfindet. Sie hat auch Gedichte und Erzählungen geschrieben. Aber diese Briefe sind das Stärkste, das sie hinterlassen hat. Und da stellt sich auch die Frage hinsichtlich einer Veröffentlichung, ob da ihr Wunsch, sich mit dem Schreiben mitzuteilen, nicht stärker zu bewerten ist als die Frage nach der Intimität dieser Briefe.
Wie hat sich durch diese Briefe das Bild Ihrer Mutter verändert?
Das hat sich ständig verändert. Und es ist unter uns Geschwistern auch sehr umstritten. Da war immer die Frage, ob sie für die Kinder überhaupt dagewesen ist oder doch nicht eher abgelenkt war durch ihre anderen Leidenschaften. Wir wussten ja immer nur vage, dass es da Beziehungen zu anderen Männern gab.
Ist das Buch auch eine Art Versuch, um in einen Dialog mit Ihrer Mutter zu treten?
Das kann man noch viel schärfer ausdrücken. Das Buch ist eine Art Versöhnungsversuch, denn wir sind ja offensichtlich in einer fürchterlichen Entzweiung voneinander geschieden. Ich war verbotenerweise zu einem Eishockeyspiel gegangen und bin erst spät am Abend wieder nach Hause gekommen. Da hat mich meine Mutter furchtbar verprügelt. Am nächsten Tag ist sie dann zu meinem Vater gefahren. Es war schon merkwürdig, dass sie danach nie mehr Kontakt zu uns aufgenommen hat, obwohl noch fünf, sechs Wochen vergingen, bis sie starb.
Zu Ihrem Vater, der nicht nur die Beziehung Ihrer Mutter zu seinem besten Freund toleriert hat, sondern auch einen anderen Liebhaber mit an das Sterbebett Ihrer Mutter genommen hat, weil der sich nicht traute. Wie haben Sie das aufgenommen?
Das war für mich auch die größte Überraschung. Mein Vater bleibt in dem Buch die rätselhafteste, vielleicht auch interessanteste Figur. Wie hat er das alles ertragen? Wie ist er damit umgegangen? Ich hatte leider nie die Gelegenheit, mit meinem Vater darüber zu reden. Auch keines meiner anderen Geschwister. Aber er hat uns die Briefe hinterlassen und nicht verschlossen oder gar vernichtet. Und obwohl er nie darüber gesprochen hat, waren die Briefe eine Art Geheimnis an uns, mit der Aufforderung, dieses zu entschlüsseln. Aber auch wenn der Vater eine rätselhafte Figur bleibt, ist er gleichzeitig auch sehr imponierend. Er hat seine Frau geliebt, trotz ihrer ganzen Eskapaden. Wie er das ertragen hat, das weiß niemand. Aber vielleicht gab es ja auch keine andere Möglichkeit, wenn man die Zeitumstände bedenkt. Was hätte er ihr denn androhen können? Sich zu trennen und sie mit vier Kindern allein zu lassen? Wie hätte er es ihr verbieten sollen?
Weil Ihr Vater vor allem ein Mensch war, der große Liebe für Ihre Mutter empfunden und vielleicht gerade deshalb so gehandelt hat, deshalb sich selbst und seine Bedürfnisse so stark zurücknahm?
Da kenne ich aber auch ganz andere Reaktionen. Vor allem von Männern, die das zum Teil gar nicht ertragen können und sagen, er sei über die Maßen schwach gewesen. Manche sind sogar regelrecht abgestoßen. Das kann ich überhaupt nicht teilen. Ich glaube sogar, dass mein Vater enorm stark war. Denn für ihn stand, abgesehen davon, dass er diese Frau geliebt hat, die Familie im Vordergrund. Es war für ihn undenkbar, den Zusammenhalt dieser Familie aufzugeben, um sich jetzt als Mann in sein Recht zu setzen.
Wie reagieren Frauen auf ihn?
Die Frauen, die das Buch gelesen haben, sind fast alle von ihm beeindruckt.
Ist Liebe nicht im Grunde immer nur ein vergebliches Ringen, getragen von der Hoffnung, es vielleicht doch noch zu schaffen?
Nein, das wünsche ich nicht. Denn das entspricht auch nicht meiner Lebenserfahrung. Aber ich selbst habe durch die Arbeit an diesem Buch gelernt, dass Liebe etwas sehr Riskantes ist. Und etwas, das sich eigentlich nur ereignet, wenn man das Risiko in Kauf nimmt, umsonst zu lieben. So wie meine Mutter es getan hat. Also keine Bedingungen zu stellen. Das ist auch fast etwas Archaisches, wo man ihr manchmal ins Wort fallen möchte und sagen, dass das nicht gut gehen kann, wenn man sich so ausliefert.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Mit der Potsdamer Schauspielerin Rita Feldmeier stellt Peter Schneider „Die Lieben meiner Mutter“ (Kiepenheuer&Witsch, 19,99 Euro) am Samstag, 17. August, um 18 Uhr in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47 vor. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 8 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03
Peter Schneider, geboren 1940 in Lübeck, wuchs in Freiburg auf, wo er Germanistik, Geschichte und Philosophie studierte.
Im Bundestagswahlkampf von 1965 schrieb er Reden für SPD-Politiker. 1967/68 wurde Schneider zu einem der Wortführer der 68er-Bewegung. Er beendete seine Ausbildung 1972 in Berlin. 1973 wurde ihm als Referendar ein Berufsverbot erteilt.
Schneider schrieb Erzählungen, Romane, Drehbücher und Reportagen sowie Essays und Reden. Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Lenz“ (1973), „Der Mauerspringer“ und „Skylla“ (2005).
Seit 1985 unterrichtet Peter Schneider als Gastdozent an amerikanischen Universitäten unter anderem in Stanford, Princeton und Harvard. Er lebt in Berlin.
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