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Kultur: Zuhören und nachdenken

Das neue Programm des Neuen Kammerorchesters

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„Einerseits ist Musik zwar die zweckfreieste Sache der Welt, andererseits wird sie gerade von Diktaturen immer wieder missbraucht“, schreibt Christian Seidel zur sechsten Konzertsaison des Neuen Kammerorchesters Potsdam. Das ab sofort vorliegende Programm enthält nicht nur zahlreiche musikalische Leckerbissen, sondern es will durchaus zum Denken anregen. Schon das aus drei Wörtern bestehende Motto „mensch macht musik“ kann auf verschiedene Weisen gelesen werden. Einige davon wären: Wo steht der Mensch als aktiver Musikproduzent, ist die Musik ein Bindeglied zwischen Mensch und Macht, wie steht es mit der Macht der Musik oder geht es um die Musik der Macht?

Doch diese Fragen sollen nicht vom Genuss ablenken. Dafür bietet jedes der vier Sinfoniekonzerte von September bis Juli klangvolle Werke aus Klassik, Romantik und Moderne. Ein Schwerpunkt liegt diesmal auf Ludwig van Beethoven. „Gerade Beethoven zögerte nicht, in seinen Werken direkt auf politische Ereignisse zu reagieren“, sagt der musikalische Leiter Ud Joffe, der unter anderem die Aufführung der Neunten Sinfonie in einem „menschlichen Maß“ wagen will. Glanz und Elend der Mächtigen und der entschiedene Reflex der Musik darauf spiegelt sich auch in drei sehr unterschiedlichen Werken, die während des zweiten Weltkrieges entstanden. Während Igor Strawinskys biblische Kantate „Babel“ die sehr aktuelle Frage nach den vielen Sprachen in der einen Zunge stellt und Arnold Schönberg in seiner „Ode an Napoleon“ sarkastischen Hohn über selbst ernannte Führer versprüht, schwelgen die „Metamorphosen“ von Richard Strauss in elegischen Streicherklängen. Dimitri Schostakowitsch kommt mit der ziemlich tragischen Kammersinfonie c-moll zu Gehör. Freunde der Romantik und des brillanten Klavierspiel können sich an Werken von Anton Dvorak und Franz Liszt erfreuen, selbst Richard Wagner erklingt erstmals beim Neuen Kammerorchester, mit dem rauschhaften „Siegfried-Idyll“. Mit Arvo Pärt ist einer der herausragendsten Komponisten der Moderne vertreten. Sein Werk „Orient und Occident“ aus dem Jahr 2000 stellt eine „fantastische Synthese von orientalischer Melodik und okzidentaler Harmonie“ dar, schwärmt Ud Joffe.

Wie gewohnt präsentiert das neue Programm eine ausgewogene Mischung aus instrumentalen und gesanglichen Werken, aus Solokonzert und Sinfonie, Musik und Wort. Darüber hinaus ist das Neue Kammerorchester an Oratorien- und Messen beteiligt, wie dem „Saul“ von Händel und dem Weihnachtsoratorium. Wie es scheint, hat das Neue Kammerorchester Potsdam im sechsten Jahr seine Rolle gefunden: als anregende kulturelle Alternative, die mehr bieten möchte als gute Musik.

Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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