zum Hauptinhalt
Musizieren auf Instrumenten der Marke Eigenbau: Schüler des Wolkenberg Gymnasiums.

© Manfred Thomas

Von Gerold Paul: Zukunftsmusik

Die Kammerakademie Potsdam auf „Bildungsoffensive“ mit der „Michendorfer Sinfonie“

Stand:

Aufschwellende, abschwellende Passage in Halb- oder in Ganztonschritten. Pause. Überblastöne reihum, nacheinander. „Spiele, so lange ich auf dich zeige!“ Die Hörner rechts, Flöten links, alles Marke Eigenbau, etwas Percussion, nun kommen das echte Fagott und eine „richtige“ Klarinette zum Einsatz. Sie sollen die tragenden Töne dieser selbsterdachten Michendorfer Sinfonie liefern, und das seit über einer Stunde.

Von außen erlebte man das dortige Wolkenberg Gymnasium kürzlich als Werkstatt und Konzert-Raum für moderne, ach was, für die aktuellste Musik aller Zeiten. Gerade erst gefunden und mit abenteuerlichen Notierungen auf Packpapier festgehalten, fing für die siebenten Klassen hier bereits das Einstudieren an: „Los, kräftiger! Jetzt lachen!“, forderte die Dirigentin Sabine Vogel. Wie ihre Kollegen Matthias Simm (Klarinette), Christoph Knitt (Oboe) und die Flötistin Bettina Lange, ist auch sie ein Teil der Kammerakademie Potsdam, welche ja, von ihrer Wirkungsstätte Nikolaisaal aus, seit 2001 in freier Trägerschaft für die „musikalische Grundversorgung“ der Stadt zuständig ist. Wessen man da in Michendorf ansichtig und anhörig wurde, ist der Versuch, eine Symbiose zwischen dem schulischen Musikunterricht und professionellen Künstlern zu fädeln. Möglichst langfristig und flächendeckend.

Neben den regelmäßigen Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche in der Wilhelm-Staab-Straße gab es ab und zu auch schon mal Workshops mit Schulen, auch hier auf dem „Wolkenberg". Was aber jetzt, seit Januar, ins Laufen kommt, soll eine andere Qualität haben. Unter den Fittichen der „Landesagentur für Struktur und Arbeit“ sowie mit Mitteln des europäischen Sozialfonds arbeitet man nach dem Vorbild des Hochschulfaches „Musikvermittlung/Konzertpädagogik“ an einer „Bildungsoffensive“, die auf zwei Jahre angelegt ist, auch in eigener Sache: Die Potsdamer Musiker wollen sich ein zweites Standbein schaffen, denn mittels ihrer Konzerttätigkeit seien sie „etwa so ausgelastet, dass sie die Hälfte ihrer Einnahmen durch Engagements beim Kammerakademie Potsdam e. V. erwirtschaften“, heißt es in dem entsprechenden Projektpapier. Klar, dass man sich da etwas einfallen lässt: Regelmäßige, stets praxisorientierte Weiterbildungen (der Lehrer als Schüler, das hat doch was!), Erarbeitung von zielgruppenorientierten und bezahlbaren Workshop-Konzeptionen für Schulen, Kitas und andere Bildungseinrichtungen sollen möglichst viele Einrichtungen für so ein exklusives Angebot erwärmen. In Berlin gibt es Vergleichbares, hierzulande nicht. Wer ordert, bekommt also immer ein Original. Präsentationstage und andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit sollen und werden für Nachschub an Interessenten sorgen. Sogar eine halbe Stelle ist für dieses exorbitante Kammermusik-Projekt vorgesehen. Ganz billig ist die Sache nicht, aber auch Schulen können ja Förderanträge an ihre Obrigkeit stellen. Bei diesem hier handelte es sich um dreimal neunzig Minuten „Unterrichtszeit“. Die Altersstufe, so Isabel Stegner, sei dabei völlig egal.

Wie lohnenswert das sein kann, erlebte man in Michendorf ganz hautnah. Ohne jede Mühe folgten die Schüler dem zunächst etwas befremdlichen Dirigat des „Sound-Painting“, eine Art Gesten- und Ganzkörpersprache, so ungewöhnlich wie die nach rechts wehenden Wimpel, wie Liniengruppen nach Art des I Ging, oder das Wölkchen-Trio auf Packpapier als Original-Notierungen für diese 2. Michendorfer Sinfonie seit Februar 2008. Ist ja auch egal, welche „Schrift“, Hauptsache sie wird verstanden! Es war eine Freude, diese so ganz neuen Töne zu hören, zuzusehen, wie unproblematisch und begeistert junge Menschen musizieren können, allen Respekt. Isabel Stegner – die Geigerin hat in Detmold selber „Musikvermittlung“ studiert – meinte, dass die Schüler eigentlich gar nicht merken würden, dass sie es mit „moderner Musik“ zu tun haben. Ein Qualitätsausweis dieses Workshops.

Nachdem sie bisher selbst solche Projekte für die Kammerakademie organisiert hat, legt sie die Verantwortung für weitere Projekte nun in die Hände ihrer Kollegen, jener, die hier noch als Mitmacher spielten. Meist geht es ja um Blasinstrumente. Man hatte zwar mit anderen Schülern auch schon mal Geigen und anderes Streichwerk gebaut, aber damit kam man nicht weit. Was früher sporadisch geschah, wird nun „durchprofessionalisiert“, und darf in diesem Gewand ganz bewusst und „kulturpolitisch korrekt“ der Hoheit „Kulturelle Bildung“ zugeschlagen werden; dass es zugleich Dienst am Stiefkind Neue Musik ist, versteht sich von selbst. Welches Schulamt könnte jetzt noch „Nein!“ sagen.

Aus dem Kreis der „Michendorfer Symphoniker“ kamen neben aller gepflegter Atonalität auf selbstgebauter Flöte oder Horn plötzlich auch ein paar Takte „Kleine Nachtmusik“ mit hinein. Dann wieder Parallelklänge, Frakturen, Ostinati, Synkopen von einigem Raffinement – es geht ja alles, in der modernen Musik. Goldene Nasen wird sich bei solcher „Zukunftsarbeit“ niemand verdienen. Wer diese Klänge ad hoc nicht mag, der mag sie nicht. Andere will dieses Projekt ermutigen, mit Leuten der Praxis auszuprobieren, was man sich allein vielleicht nicht traut. Bei dem exzellenten Ruf, den die Potsdamer Kammerakademie hat, muss man sich da wirklich keine Sorgen machen.

Das Konzert wird am 20. Februar zum Tag der offenen Tür wiederholt

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })