Kultur: Zum Affen gemacht
Michael R. Scholze gab in Hermannswerder Kafka
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Ist Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“ eine Erzählung? Nein, ist er nicht. Aber der Affe erzählt doch, aus seinem tierischen, später aus seinem „menschlichen“ Leben. Vielleicht besser eine Parabel? „Parabel“ ist gut, Parabel heißt ja „Gleichnis“ und besitz zwei Kurven. Die eine soll angeblich die Bild-, die andere die Sinnebene symbolisieren.
Bilder hat es gar viele gegeben, an jenem sehenswerten Theaterabend unlängst im Evangelischen Gymnasium Hermannswerder, in einem bemerkenswert eindrucksvollen Solo-Theaterstück für einen professionellen Laien-Schauspieler, Michael R. Scholze genannt. Der schaut gleich zu Beginn in einen Spiegel und ekelt sich. Dann greift er zum Diktiergerät und schämt sich. Denn das, was er der „Akademie“ zu berichten hat, lässt einem das Lachen im Halse ersticken. Da sind nämlich Menschen nach Afrika gekommen und haben ihn, den glücklich in freier Wildbahn lebenden Affen angeschossen, eingefangen und dann per Schiff mit nach Europa genommen.
Die Überfahrt sei traumatisch gewesen, denn ein Zurück habe es für ihn, den Affen, nicht gegeben. Eingesperrt sei er gewesen. Und das habe die Menschen schrecklich belustigt. Sie haben dann versucht ihm beizubringen, was den Menschen zum Menschen machen würde. Er solle sich nur ein Beispiel an ihnen nehmen, etwa wie genussvoll der Konsum von Tabak und Alkohol sei. Und wie gebildet die Menschen seien. Außerdem wären sie ganz frei und hyperintelligent.
Der Affe Rotpeter steht vor der fatalen Wahl: Entweder über Bord springen (was er, eingesperrt, nicht kann), oder sich für „lebenslänglich“ im Zoo oder für das Varieté entscheiden. Er wählt letzteres und macht sich zum Affen, weil er Mensch sein soll und im Innersten Affe geblieben ist.
Soweit zur Bildebene. Die Sinnebene ist Kafka selbst. Er hat sie gelebt, als ungeliebte und nicht zu Lieben fähige, mit schrecklichen Minderwertigkeitskomplexen behaftete Minderheit. Die hat den studierten Juristen, den deutschstämmig im tschechischen Prag lebenden Juden ins innere Exil getrieben. In ein, das weiß man heute, literarisch ausgesprochen produktives Exil.
Kafkas Vater, auch das weiß man heute, ist „Kinder-Dompteur“ gewesen. Er hat seinen Sohn abzurichten versucht, grausam, gewalttätig. Das hat tiefe Spuren hinterlassen. Kafka hat mehrfach versucht „aufzubrechen“, „heimzukehren“. Weder das eine, noch das andere Glück ist ihm vergönnt worden.
Diese seine geschundene Seele findet man auch und vortrefflich in „Ein Bericht für eine Akademie“ wieder. Michael R. Scholze ist zu danken, dass wir davon erfahren haben, vom vergeblichen Suchen nach Menschlichkeit, vom Drang nach Liebe und Zuneigung, von der unstillbaren Sehnsucht nach Würde.
Fast 60 Minuten hat er sich aufgebäumt, ist er kickboardend durch die Aula geschwebt, hat er sich auf Rednerpulten verrenkt, erschöpft in den Sessel gefläzt, geweint und sarkastisch gelacht, sich tierisch auf die Schenkel geklopft, Ströme von Angstschweiß vergossen, sich mehrfach mit den Zuschauern zu unterhalten versucht, die nur erschrocken-höflich-verlegen gegrinst haben. Um sich, was blieb ihm auch anders übrig, in die von den „Menschen“ auferlegte Rolle zu begnügen, „den Affen zu geben“, skurril, beeindruckend, atemberaubend - und kafkaesk im besten Sinne.Andreas Flämig
Andreas Flämig
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