Kultur: Zum Einschlafen aufregend
Nach einer guten Stunde fragte am Mittwochabend einer der sechs Besucher von Carsten Wists literarischem Leseabend ganz schüchtern, ob Stargast-Autor Gerhard Falkner dem Leser nicht vielleicht etwas viel abverlange. Diese wahrlich seltsamen Formungen aus dem konzeptionellen Gedichtband „Hölderlin Reparatur“, wofür er den diesjährigen Peter-Huchel-Preis erhielt, oder dem sprachverwirrten „Langgedicht“ über seine Wohnstatt Berlin, in Kurzfassung „Gegensprechstadt – ground zero“ benannt.
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Nach einer guten Stunde fragte am Mittwochabend einer der sechs Besucher von Carsten Wists literarischem Leseabend ganz schüchtern, ob Stargast-Autor Gerhard Falkner dem Leser nicht vielleicht etwas viel abverlange. Diese wahrlich seltsamen Formungen aus dem konzeptionellen Gedichtband „Hölderlin Reparatur“, wofür er den diesjährigen Peter-Huchel-Preis erhielt, oder dem sprachverwirrten „Langgedicht“ über seine Wohnstatt Berlin, in Kurzfassung „Gegensprechstadt – ground zero“ benannt. Tatsächlich legte der gebürtige Süddeutsche nicht wenig vor, um sich die Aufmerksamkeit, besser das Lob der Leser zu erkämpfen. Doch einfach machte er es dem Zuhörer dabei nicht.
Sollte jemand Gerhard Falkner nicht kennen, dekorierter Gast des derzeitigen Internationalen Literaturfestivals Berlin, so sei auf seine gut verkaufte Novelle „Bruno“ verwiesen, aus der er ellenlange, schwer zu durchschauende Satzperioden a la Stifter las, bevor er verriet, worum es in der Novelle überhaupt geht. Dann hörte man ihn reden von philosophisch-theoretischen Arbeiten französischer Abkunft, die er nie vorstellte, von Gedichten und Textpassagen, die er nicht lesen könne, die er nicht lesen will, weil sie andere Textpassagen voraussetzten, von notwendigen Erklärungen, die er nicht gab, Erklärungen deshalb, weil seine Sachen experimentell verstanden sein wollten, wegen irgendwelcher Schnittstellen, Synapsen, ungewisser Subtexte und so. Kurz, es war zum Einschlafen aufregend. Ohnehin werden allein Germanisten zu schätzen wissen, dass ihnen endlich mal einer den Hölderlin repariert. In ihrem Sinne ordnet Falkner sich gern und freiwillig der Postmoderne zu, sicher ist sicher.
Im Jahr 2003 war er mal unwilliger Stadtschreiber in Rheinsberg, aber der Osten wird nicht sein Ding, erzählte Falkner. Mit einem Hauch von Geringschätzung erklärte er dem lauschenden Sextett die Tiefenpsychologie, von der man vielleicht auch hier schon gehört habe. Da bekam man richtig Lust, seinen Walliser Texten um Braunbär Bruno und dessen menschlichem Alter Ego zu lauschen. Falkner selbst wollte angeblich sogar den Wald dort abfackeln. Er möchte ja gern ein Rebell sein, in einer Sprache, die zumindest vorgetragen blutarm und langweilig klang.
Während er sich nun Tag für Tag avantgardistisch abschuftet, ereilte ihn in Leipzig dann auch noch der Undank: Hörer kürten ausgerechnet seine „Gelegenheitsgedichte“ zum Besten des Abends, erzählte er. Ein starkes Stück! Denn ein Dichter, der seine Sachen experimentell verstanden wissen will, kann ein solches Lob nicht begrüßen. Der Osten hat eben keinen Geschmack, man sieht es auch an diesem Bericht. „Was ist der Mensch?“ fragt sein Langgedicht „Gegensprechstadt – ground zero“ eisern: Ein Dichter, was sonst! Gerold Paul
Gerold Paul
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