Kultur: Zupackend und zaubertraumhaft „Sinfonische Träume“
im Nikolaisaal
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Modern und doch hörerfreundlich, verständlich und äußerst bildhaft in seinen musikalischen Erfindungen – das ist seit jeher das Markenzeichen des Tonsetzers Siegfried Matthus. Auch in seinen vor drei Jahren entstandenen „Phantastischen Zauberträumen“ für Saxophonquartett und großes Orchester blieb er sich treu. Die konnten sich an des Komponisten ungebrochenem Sinn für effektvolle Wirkungen, am Raffinement seiner brillanten Orchestrierung kaum satt hören, als das imponierende Klangmärchen beim 7. Sinfoniekonzert der Nikolaisaalreihe erklang. Ergo wurden Interpreten und anwesender Komponist enthusiastisch gefeiert. Die mitreißende Wiedergabe war dem legendären amerikanischen Raschèr Saxophonquartett und einem vor Klangsinnlichkeit schier berstenden Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter Leitung von Lior Shambadal zu danken.
Zum Matthuschen uvre scheinen die Musiker ein besonders inniges Verhältnis zu haben, wie Aufführungen von dessen Paukenkonzert „Der Wald“, der sinfonischen Zeitsuche „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“ oder der Orchesterphantasie „Das Land Phantásien“ beachtenswert belegen. Nun also die klangfulminanten Begegnungen mit lieblichen Spukgestalten, tapferen Zauberern (wem fiele da nicht Harry Potter ein?!) und Abrechnungen mit ungehobelten Raufbolden, geistreichen Trotteln und arroganten Schönrednern. Wohin man auch hört: überall kichert, wispert, spukt, trappelt, grimassiert und knochenklappert es Wahrlich ein schauerschönes Gruseln.
Zwischen die sieben Phantasien sind „Zaubersprüche“ eingefügt, in denen die Raschèrs magisch-gleitende, aufgeregte, elegische und zauberzickige Wechselgespräche führen. Ansonsten geben sie als personifizierte Magier mit blastechnischer Brillanz, hinreißender Gestaltungsfreude und überbordender Musikalität dem Klanggeschehen ein unverwechselbares Kolorit. Lustvoll beschwören Sopransaxophon (Christine Rall) und Violine (Konzertmeister Juri Toschmakow) das Flair einer bauchtänzerisch geprägten Tausendundeiner Nacht. Zu einer motorisch geprägten, gleichsam ICE-rasanten Reise in das Land Phantásien wird wenig später eingeladen, mit Halt und Sightseeing an verschiedenen Traumstationen. Das plastische Musizieren findet seine Höhepunkte in den rabiaten, jazzorgiastischen Klangballungen, wo das schwere Blech nach Herzenslust dröhnt. Am Berührendsten jedoch das schlichte „Schlaf- und Träumliedchen“, das als Jubelzugabe wiederholt wurde!
In den anderen Beiträgen konnte man sich an funkelnden Facetten amerikanischen Musiktheaters erfreuen. Mit den Mitteln der Minimal Music klangzauberte John Adams (geb. 1947) im Foxtrott für Orchester „The Chairman Dances“ (für die Oper „Nixon in China“) eine geradezu reißerische, streckenweise laszive Rhythmusorgie. Wie sie gespielt wurde! Es entstand ein Sog, dem sich kaum zu entziehen war. Nicht weniger beeindruckend der Musiker Hingabe an „Medeas Meditation und Rachetanz“ von Samuel Barber (1910-1981). Als rhythmische Entfesselungskünstler erwiesen sich die Musiker auch bei den finalen „Sinfonischen Tänzen“ aus der „West Side Story“ von Leonard Bernstein (1918-1990): vital bis zum Bersten, in Discolautstärke, immer präzise, aber auch empfindungstief und schließlich von anrührender Innigkeit. Anhaltender Beifall dankte dem zupackenden, brillanten Orchesterspiel. Peter Buske
Peter Buske
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