Kultur: Zupackende Zartheit
Kammerakademie Potsdam mit Goethes und Beethovens „Egmont“
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„Wie machen wirs, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei?“ Dem Direktor aus Goethes „Faust“-Vorspiel auf dem Theater kann geholfen werden. Die Saisoneröffnung des Nikolaisaals und der hauseigenen Kammerakademie Potsdam gibt die Antwort: Man nehme die Musik von Ludwig van Beethoven zu des Dichterfürsten Trauerspiel „Egmont“, feiere tags darauf drinnen wie draußen ein Salsafest und schmecke das Ganze am darauf folgenden Tag mit einer filmischen James-Bond-Nacht ab – „und jedermann erwartet sich ein Fest“.
Den Startschuss am Freitag vollzog der künstlerische Leiter der Kammerakademie, Michael Sanderling, in gewohnt forscher Dirigiermanier und entsprach damit dem eingangs zitierten Direktorenwort. Seit mindestens fünfzig Jahren soll diese Schauspielmusik in Potsdam nicht aufgeführt worden sein. Groß daher die Erwartungen an die Aufführung, zu der Hans Nadolny eine Textfassung aus dem Trauerspiel destillierte, die wichtige Passagen fürs inhaltliche Verstehen zwischen die zehn Musiknummern einschob. Man habe diese „Egmont“-Version gewählt, um Beethoven wie einen Staffelstab aus der vergangenen Saison in die diesjährige weiterzutragen, erläutert der Dirigent dem Publikum die Werkwahl.
Der Textextrakt, vom scheidenden Intendanten des Hans Otto Theaters, Uwe Eric Laufenberg, vorgetragen, beginnt mit Volkes Stimme: „Lasst den Grafen Egmont leben!“ Und sogleich hebt die Ouvertüre an: zupackend, breit, schroff und spannungsaufbauend ausgeführt, kurz phrasiert, schlank gehalten und auf Durchhörbarkeit bedacht, von zukunftsvisionärem Elan durchpulst. Deutlich spürt man schon hier, dass Beethovens Musik das Geschehen nicht illustriert, sondern interpretiert. In der Ouvertüre ist es das Schicksal von Egmont, der zwischen Feuerkopf und politischem Illusionär sein tragisches Ende findet.
In sachlich vorgetragenen, nicht immer textverständlich gesprochenen Monologen breitet Laufenberg die Gedankenwelt seines Helden aus. Die Sprache lässt er dabei größtenteils nicht klingen. In den Dialogen kann man durch wenig differenzierte Stimmfärbung nicht immer unterscheiden, wer da gerade der imaginäre Ansprechpartner ist. Merkwürdig, wo er doch sonst sogar jede Szenenanweisung mitspricht! Im Wortduell Egmont-Alba gelingt ihm die Differenzierung, findet er für den spanischen General jenen kühlen und berechnend provozierenden Tonfall, der ihn als Szenensieger erscheinen lässt: „Du bist mein Gefangener, Egmont!“ Im Kerker monologisiert der über sein vermeidbares Scheitern und nimmt im Melodram „Komm, süßer Schlaf“ Abschied vom Leben. Die überhöhende tonmalerische Verbindung von Musik und Gesprochenem will Laufenberg allerdings nicht gelingen.
Als Klärchen hat Sopranistin Caroline Melzer nur zwei „Auftritte“. Für deren Marschlied „Die Trommel gerühret!“ hat ihre etwas spröde Stimme den erforderlichen martialischen Zugriff, während ihr für das „Freudvoll und leidvoll“-Liebesbekenntnis jeglicher poetische Nerv fehlt. Ein Pianissimo kann sie genauso wenig singen, wie sie zudem Mühe mit der Höhe hat. Dann forciert sie, verhärtet die Stimme. Und wenn sie gegen Ende stumm stehend Ergriffenheit mimen muss, wirken ihre Bemühungen eher peinlich. Dafür entschädigen die mit zupackender Zartheit unter Hochspannung gespielten Zwischenaktmusiken und die gebührlich jubelnde Siegessymphonie. Die Zuhörer jubeln ebenfalls.
Peter Buske
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