Von Gerold Paul: Zur Freiheit verdammt
Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ auf dem Potsdamer Theaterschiff neu inszeniert
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Eigentlich wäre ja in den heutigen Zeiten alles zu loben, was der geistigen Verflachung in der Gesellschaft noch irgendwie in den Weg treten will, allem voran die Kultur, selbstverständlich, und notfalls auch Jean-Paul Sartres „Existenzphilosophie“. Sartre stellte vor ungefähr sechzig Jahren wenigstens noch die „Sinn- oder Seins-Frage“, suchte Herkunft und Wesen des Menschen mittels seiner Theaterstücke zu bestimmen. Man diskutierte einen Sartre damals in ganz Europa. Wenn Kultur heute entweder nur Mumien produziert oder sich als Amüsiermagd versteht, ist es wieder mal Zeit, nach dem Menschen zu fragen, der solche Art „Güter“ begehrt – war das Individuum für den gottlosen Franzosen zwischen dem Sein und dem Nichts denn nicht „zur Freiheit verdammt“?
Am Freitag hatte eines seiner besten Stücke auf dem Theaterschiff Premiere. Es läuft zwar unter „Geschlossene Gesellschaft“, doch zwei frühere Titel sagen deutlicher, was der Autor um 1944 mit seinem Kammerspiel auszudrücken suchte und was sich in Thomas Fricks Inszenierung auch sukzessive zeigte: „Die Anderen“ erst machen jemandem durch ihre Blicke zu dem, was er ist oder wird, besonders „Bei geschlossenen Türen“.
Garcin (Bob Schäfer) weiß, wohin ihn dieser Diener in Rot (Norman Jahnke) da führt, und fragt ironisch: Wo sind die Pfähle? Sartres Hölle braucht sie so wenig wie Schwefel oder Folterbüttel. Drei Sofas stehen im abgeschwärzten Raum, klar, denn der Mann bleibt nicht lange allein. In Gestalt von Ines (Jördis Borak) und Estelle (Maria Haar) kommen zwei Damen dazu, Sünderinnen wie er. Einerseits fragen die Herrschaften nun, was sie in dieser „Hölle“ verbindet – Wissende würden sie eher für eine Art Purgatorium halten – und wo nun der Folterknecht steckt, andererseits suchen sie, so Sartre es will, gleichsam posthum nach der Wahrheit ihres verflossenen Daseins.
Wozu eigentlich macht man sich hier noch etwas vor, warum täuscht und lügt man, kannte Sartres Philosophie das Dantesche Inferno so schlecht? Keine Ahnung, die in graue Stöffchen gehüllten Darsteller der Stadt-Spiel-Truppe nahmen ihre Aufgabe jedenfalls sehr ernst, sie gaben über zwei Stunden ein exzellentes, sehr durch intensive Figurenbeziehungen immer neu definiertes Kammerspiel, dem eigentlich nur etwas Abstand zum Autor gefehlt hat, vom Umfeld mehr Lärm, vom Text aus mehr Hitze, als da längsschiffs behauptet wurde.
Man suchte Verbündete zwei gegen eins, Ines ist scharf auf Estelle, diese will Garcin, aber den beschäftigt die Frage, ob er zu Lebzeiten nun ein Feigling war vor dem Feind, oder nicht. Irgendwann vergisst man, warum. Irgendwann springt die Tür auf, aber keiner der Eingeschlossenen (schwach inszeniert) geht, letztlich erkennt man, na endlich, dass man gefangen ist und nicht stirbt, dass diese drei „Abwesenden“ irgendwie zusammengehören und in dieser Perpetuum-Hölle alles immer so weitergeht. Es versteht sich von selbst, dass Thomas Frick beim Inszenieren wohl zugleich jene „offene Gesellschaft“ vor Augen hatte, deren geschlossene Türen auch in Potsdam meist unsichtbar bleiben.
Immerhin glaubte der „humanistische“ Atheist Sartre noch an die Existenz des Bösen, nicht aber an einen Sinn dieses Seins: Der Mensch ist das, was er vollbringt, sonst bleibt er hohl und allein. Seine Freiheit zwingt ihn zum Handeln, auch und vor allem in der Kultur. Von diesem existentialistischen „Denk-Modell“ sah man allerdings nicht so viel, eher bekam man ein gut gemachtes Psycho-Drama zu Gesicht, welches ein „richtiges“ Inferno nicht braucht, denn nach Sartre sind ja stets „die Anderen“ die Hölle. Die Augen der anderen sind schuld, ihre Blicke, man selbst ist so rein, wie man es in der Hölle nur sein kann – ganz schön praktisch, aber immer noch besser, darüber nachzudenken, anstatt sich, zur Freiheit verdammt, irgendwo hinter offenen Türen berieseln zu lassen. Selbst ein Sartre ist immer noch besser als sein berühmteres „Nichts“!
Nächste Vorstellungen 4. und 5. Februar, 19 Uhr, Theaterschiff, In der Alten Fahrt, Tel. 0331/ 2800 100.
Gerold Paul
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