Kultur: Zur Sonne, zur Kunst
Der Künstler Jonathan Meese war in einem Seminar für Strafrecht an der Potsdamer Universität zu Gast
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Die weiße Kreidezeichnung wischt der Künstler vorsichtigerweise von der grünen Schultafel wieder ab. Schließlich soll die Tafel nicht als Kunstwerk verkauft werden. Das ist schade, denn als Jonathan Meese mit flinkem Strich und ernster Miene zur Kreide griff, verkündete er: „Ich male mal eben kurz die Weltformel auf“. „Einstein ade“, kommentierte zutreffend lakonisch eine Stimme aus dem Publikum.
Im strafrechtlichen Seminar der Universität Potsdam fordert der Installations- und Performance Künstler Jonathan Meese den rechtsfreien Raum und noch mehr: die Diktatur der Kunst, wahrscheinlich die totale Diktatur. Meese meint das ganz ernst.
Lange schwarze Haare rahmen sein Gesicht, ein Rasputinbart ziert seine Mundpartie. Gekleidet ist Meese zunächst in einen grauen Mantel. Von dem lässt sich schwer entscheiden, ob es nun ein ganz besonders teures Designerstück oder einfach Second Hand-Ware ist. Zunächst etwas gepresst, aber mit viel Emphase, klarer Artikulation und völlig selbstgewiss beschwört er ein recht apokalyptisches Bild der Gegenwart und der näheren Vergangenheit herauf. Dann gelangt er zu seiner Kernthese von der Herrschaft der Kunst.
Nichts weniger als die Kunst als „totales Spiel“, in dem der Mensch nur ein Spielzeug sei, sieht er am Horizont herauf ziehen. Die Grundlage sei der Metabolismus, also der menschliche Stoffwechsel. Der Instinkt solle regieren. Das sei in einer Demokratie sowieso ausgeschlossen, darum sei diese auch schlecht.
Die versammelten Fachgelehrten nicken. Alle tragen ein dunkelblaues Jackett und eine rote Krawatte und sehen irgendwie mächtig intelligent aus. „Sie haben mich völlig überzeugt, aber wie soll ich handeln“, möchte Lawrence Douglas, Gastprofessor in Potsdam und ansonsten Professor of Law, Jurisprudence and Social Thougt in England, gerne wissen. Um keine Antwort verlegen mündet die Replik von Meese irgendwann in den Konstitutivsatz: „Die Reise ins Ich geht ins Jenseits“.
Unterdessen scheint hell die schräg stehende Sonne auf den weiß glitzernden Schnee im Hof des Universitätsgebäudes und durch die Fensterfront auf den Künstler. Der wirkt mittlerweile etwas entspannter. Der beschauliche Rahmen lässt kaum vermuten, dass drinnen gewichtige Sätze gesprochen werden wie: „Wenn das Ich weg ist, kann man wieder leben wie ein Baby.“ Überhaupt geht es viel um Babys und deren vermutete Unschuld, die dann von Demokratie und allerlei anderem Unfug verdorben würde. „Als Künstler bin ich ein Brikett Scheiße“, bekennt Meese dann selbstkritisch. Das ist nun nicht so ganz zutreffend. Zwar umweht den Vortrag des Künstlers ein deutlicher Hauch von Biologismus. Das macht aber nichts, denn Meese möchte niemand bekehren oder regieren.
Der Furor mit dem er sein Bild von der Welt und allen möglichen anderen Dinge skizziert, sucht seines gleichen. Sein Reigen von Begriffen und bedeutungsschweren Metaphern rasselt munter im Kopf des Zuhörers. Meese ist ein Gesamtkunstwerk. Sein Vortrag, seine grob gespachtelten, großflächigen und anspielungsreichen Bilder, seine überbordenden Installationen, seine gekonnte Selbststilisierung, alles bildet eine überzeugende Einheit. Dazu gehört auch seine Addidas Trainingsjacke. Die kommt schwarz mit weißen Streifen zum Vorschein, als er den Mantel auszieht. Zwischendurch hat er eine Fliegerbrille getragen, vermutlich bereit zum Sturzflug auf die Kunst. Meeses Argumentation ist mit Logik nicht greifen. Das wird schnell klar, als der Georg Küpper, Professor für Strafrecht, versucht Meeses Argumentation mit einem ein Vortrag über die „Würde des Menschen“, die der Künstler für komplett überflüssig hält, beizukommen.
Bei der Antwort assistiert Jonathan Meeses Kameramann Jan Bauer. Er erzählt etwas von „ultravisionärer Totalutopie“. Das wirkt schnell recht fad, Jan Bauer ist kein Künstler. Die „süßeste, demütigste Ameise der Kunst“ sei er, behauptet dagegen Jonathan Meese. Da mag niemand widersprechen und ein Konzept für die passende Regierungsform hat der Künstler auch: „Die Sonne möge uns so lange regieren, solange sie da ist. Aber wir müssen sie doch nicht anbeten“. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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