zum Hauptinhalt

Kultur: Zwei Tragödien

Lesung mit Iraks Nationalcoach Bernd Stange im Voltaire-Hotel

Lesung mit Iraks Nationalcoach Bernd Stange im Voltaire-Hotel Die erste größere Tragödie in Bernd Stanges Leben kannten die meisten Zuhörer, die sich am Dienstag im NH Voltaire Hotel zur Vorstellung seiner von Heiko Mallwitz verfassten Biografie „Trainer zwischen den Welten“ (Anderbeck-Verlag) eingefunden hatten, wahrscheinlich noch aus eigener Erfahrung. Mann rackert sich ab, doch bevor die Früchte der Arbeit eingefahren werden können, ist der Staat, in dessen Diensten man stand, überraschend weggebröselt. Stange war bis 1988 DDR-Nationaltrainer von Spielern wie Matthias Sammer, Thomas Doll und Ulf Kirsten. Er ist sich sicher, dass diese Mannschaft mit seinem Nachfolger Eduard Geyer 1990 die Weltmeisterschaft hätte erreichen können. Da kam dann die Wende dazwischen. Und 15 Jahre später wiederholt sich die Geschichte in der zweiten Tragödie. Stange hat im Irak angeheuert, um seinen großen Traum, an der Weltmeisterschaft 2006 in der deutschen Heimat teilzunehmen, und schon wieder droht sein Arbeitgeber sich in Anarchie und Chaos aufzulösen. Momentan hält selbst Stange den Aufenthalt im Irak für zu gefährlich, seit einer Woche ist er zurück in Deutschland, die Rückkehr zu seiner Mannschaft ist ungewiß. Stanges damaliger Vertragsschluss mit dem irakischen Fußballverband hatte für Aufsehen und zu harter Kritik an ihm geführt. Von einer Zeitung wurde er sogar „Trainer des Teufels“ betitelt. Verblüffend bleiben eine gewisse Piefigkeit der Gedankengänge und die Naivität seiner Sichtweise auch heute. So beteuert Stange dem Publikum, er hätte den Vertrag im Jahr 2002 nicht unterzeichnet, hätte er geahnt, dass bald ein Krieg ausbräche: „Ich war mir ganz sicher, hier passiert nichts.“ Ein möglicher politischer Mißbrauch seiner Funktion sollte durch eine Vertragsklausel verhindert werden, in der er ausschloss, sich zu Fragen, die über das Sportliche hinaus gehen, zu äußern. Einem Zuhörer, der meinte, Stanges und Saddams Hände schüttelnd im Fernsehen gesehen zu haben, wird erwidert, dass dies nicht zutreffe. Stange habe weder Saddam Hussein noch seinen Sohn Urdai, damals Präsident des Fußballverbandes, je getroffen. Und wenn Stange betont, wie wichtig ihm die Trennung von Sport und Politik ist, heißt das nicht, dass er zum Irak-Konflikt keine Meinung zu äußern hätte. Wiederholt nennt er die mächtigen Waffen, die Stacheldrahtverhaue und die Betonbarrieren, die im Nachkriegsbagdad das Stadtgebiet bestimmen. So könne man die Herzen der Menschen dort nicht erreichen. Dies hat Bernd Stange in einem Brief auch an George W. Bush geschrieben, der – im Gegensatz zu Tony Blair – bislang nicht geantwortet hat. Während London eine Einladung zum Trainingslager aussprach, schickte Washington lediglich 5 000 Fußbälle, was natürlich medienwirksam inszeniert wurde. Hinterher stellte sich heraus, die Geschenke waren nur aus Plaste. Bernd Stanges Reputation, das ist die Ironie der Geschichte, ist mit der Beseitigung von Saddam Husseins Regime gewachsen. Er bekam von FIFA-Präsident Blatter den Presidential Award für seine Arbeit. Das Publikum auf der Lesung dankt Spange mit spontanen Applaus für sein Bekenntnis, dass er in 32 Jahren so viel gelernt habe, als dass ihn irgend jemand mißbrauchen könne. Schließlich bekommt er an diesem Abend noch einen Preis überreicht: die Leserschaft des Neuen Deutschland wählten ihn zum „Trainer des Jahres 2003“. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false