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Von Almut Andreae: Zweieinig

Annette Paul und Karola Thomas laden monatlich zur „Vernissage am Donnerstag“

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Die großen, sich zur Straße öffnenden Fenster an der Carl-von-Ossietzky-Straße laden dazu ein, in den Raum dahinter zu spähen. Die hohen, überwiegend weiß gehaltenen Wände sind nicht verstellt. Hier und da erobert sich eine Leinwand, ein goldener Schriftzug oder eine Wandmalerei die Fläche. In einem Fenster ruht auf einem Sockel aus Silikon ein großes Goldfischglas, in dem statt Fische kleine Artefakte Einzug hielten. Ist das, was hier zu sehen ist, käuflich? Oder ist das gar kein Laden? Und wenn nicht, was ist es dann?

Als Karola Thomas und Annette Paul im vergangenen Sommer die Idee eines gemeinsamen Atelierladens aus der Taufe hoben, war dies der Beginn eines Abenteuers, das nun, an der Schwelle zum Frühling, ganz neue Blüten treibt. Nach der offiziellen Eröffnung ihres Atelierladens „zweieinig“ im vergangenen September möchten die beiden Künstlerinnen ihr unkonventionelles Ladenkonzept gezielter als bisher öffentlich machen. Deswegen bitten sie ab sofort immer am letzten Donnerstag eines Monats zur einer Vernissage in ihren Laden.

Mit dem Motto „schubweise“ ist die heutige Premiere um 19 Uhr überschrieben. Was die Besucher an diesem Abend im Einzelnen erwartet, ist zu einem großen Teil Überraschung. Kein Geheimnis dagegen machen die beiden Initiatorinnen der „Vernissage am Donnerstag“ um ihre Motivation zu dieser neu ins Leben gerufenen Veranstaltungsform: Zu erwarten ist so etwas wie eine Offensive gegen die berüchtigte Kunst im Elfenbeinturm.

Mehr noch als ein Atelier verführt der auf Transparenz angelegte Laden dazu, über die Schwelle zu treten und einen Blick in die künstlerische Produktion zu werfen. Der Atelierladen ist gleichermaßen Arbeitsraum, Galerie und Treffpunkt für Begegnungen. Die Vernissage am Donnerstag als Jour Fixe lenkt die Aufmerksamkeit auf ein punktuelles Innehalten im künstlerischen Arbeitsprozess. Der Austausch mit Anwohnern und Kunstinteressierten wird dabei klar im Mittelpunkt stehen. Engagement für den eigenen Kiez und für die Kunstschaffenden in der Brandenburger Vorstadt ist da durchaus ein zentraler Aspekt. Nun wären die beiden Künstlerinnen nicht Ladeninhaberinnen, wenn sie ihre Kunst ausschließlich zur Diskussion stellten, statt hin und wieder auch mal etwas aus der eigenen Produktion gegen Bares zu veräußern. Wer im Atelierladen fündig geworden ist, ohne gleich kaufen zu wollen, an den ist auch bereits gedacht: Der kann die Kunst von Annette Paul und Karola Thomas nämlich auch mieten oder leasen.

Auffällig im Atelierladen „zweieinig“ist, wie wenig sich die Kunst in den Vordergrund drängt. Diese gewisse Beiläufigkeit entfaltet so etwas wie einen subversiven Charme, der umso stärker wirkt, desto länger man hier verweilt. Gerne schmiegt sich die Kunst der beiden Frauen in Ecken, kauert am Boden, schwebt von der Ecke oder präsentiert sich als Möbelstück in farblich neuem Überzug. Annette Paul, aktuell Jahresstipendiatin des Landes Brandenburg, in der sich das Talent zur bildnerischen Gestaltung, zu Tanz, Gesang und Poesie in persona vereint, zieht in ihrem stark aus der Reflexion kommenden künstlerischen Ausdruck mit Installationskunst, Stickereiarbeiten, Wandmalerei, Video und Performance äußerst unterschiedliche Register. Manchmal arbeitet sie subtil, mit leichten optischen Verschiebungen, manchmal plakativ, so beispielsweise in ihrem Kurzfilm „sweet art“. Durchaus symptomatisch für Annette Paul wird in dieser Videoarbeit mit Ironie und Hintersinn eine Musterwelt kreiert und zur Bemusterung der Welt durch Mustermuttis aufgerufen.

Demgegenüber ist der Gestaltungsimpuls von Karola Thomas eher assoziativ und vollzieht sich meist losgelöst von einem Thema oder inhaltlichen Diskurs. Was die beiden an sich grundverschiedenen Künstlerinnen miteinander verbindet, ist ihre große Offenheit für Prozesse, für Inspiration von außen und für die Bereitschaft, sich „Impulse hin- und herzuschieben“. Auch die gemeinsam entwickelten Performances werden für die beiden zur beliebten Schnittmenge vor Publikum.

In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, wenn die offizielle Eröffnung der Offenen Ateliers am 3. Mai im Atelierladen „zweieinig“ über die Bühne geht. Mit ihrer Aktion „Torte gegen Brotlosigkeit“ stellen Annette Paul und Karola Thomas Überlebenskampf der Künstler und Luxus des Kunstschaffens jedem, der Lust hat mitzumachen, der eigenen Erfahrung anheim.

Atelierladen zweieinig, Carl-von-Ossietzky-Str. 28, Öffnungszeit: jeden Donnerstag 11-20 Uhr. Die erste Vernissage heute um 19 Uhr.

Almut Andreae

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