Kultur: Zwiespältiger „Orpheus Britannicus“ Universitätschor mit Britten und Purcell
Zu der zauberhaften Musik von Henry Purcells „Fairy Queen“ wiegt Peter Pears seinen Partner Benjamin Britten in den Armen, tröstet und beruhigt ihn. Erst kurz zuvor war Britten als kleiner Junge dem „englischen Orpheus“, wie Purcell schon zu Lebzeiten genannt wurde, leibhaftig begegnet.
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Zu der zauberhaften Musik von Henry Purcells „Fairy Queen“ wiegt Peter Pears seinen Partner Benjamin Britten in den Armen, tröstet und beruhigt ihn. Erst kurz zuvor war Britten als kleiner Junge dem „englischen Orpheus“, wie Purcell schon zu Lebzeiten genannt wurde, leibhaftig begegnet. Dieser forderte von dem Jungen ziemlich Seltsames: Er soll ihm kleine Jungen zuführen und seine eigene Minderwertigkeit laut herausschreien. Was er auch tut.
Bei dem musikalischen Theaterabend „Orpheus Britannicus“ mit dem Orchester und dem Chor der Universität Potsdam, der am Mittwoch im Nikolaisaal uraufgeführt wurde, vermischen sich Ebenen und Epochen auf heillose Weise. Rund um den bedeutendsten britischen Komponisten des 20. Jahrhunderts konstruierte Autor und Regisseur Lars Wernecke eine Schauergeschichte, die sich im Wesentlichen auf das Coming out von Benjamin Britten und seinem Lebenspartner, dem Tenor Peter Pears, dreht. Viel wird von traumatischen Kindheitserlebnissen des Komponisten, der als jüngster Sohn eines Zahnarztes im englischen Suffolk geboren wurde, erzählt, wenig von seinen Werken. Im Zentrum steht die dominante Figur von Henry Purcell (Ingo Brosch), die zunehmend zwielichtiger und dämonischer wird. Nicht bloß der kleine Benjamin (Moritz Commichau), der immer wieder fragt: „Bist du ein Gespenst“, auch die Zuschauer wundern sich. Schließlich bringt Benjamins kindliche Neugier ihn dazu, durch ein Astloch in der Hütte zu gucken, wo Purcell sein Begehren auslebt. Leider bestimmt diese Schlüssellochperspektive auch die bisweilen abenteuerlich mäandernde Handlung. Zum Schluss reißt Purcell seine Perücke ab und gibt sich als Vater zu erkennen – ein Theatercoup, der auch die Brüche und Widersprüche des Stücks markiert. Denn die Fantasie des Autors schlägt wilde Kapriolen, vermischt Fakten und Fiktives, Lehrbuchwissen und Biographisches, Öffentliches und Privates bis hin zur Peinlichkeit. Dabei sind die Darsteller, Arne Fiedler als Benjamin Britten und Martin Langenbeck als Peter Pears, gut gewählt. Doch selbst Klischeehaftes bleibt bei diesem drei Stunden langen Abend nicht außen vor. Dass die Musik Magie besitzen kann, braucht bei einem Konzert nicht gesagt zu werden, sondern sollte überzeugend vermittelt werden. Sicher bieten Brittens Bekenntnis-Werke viel Stoff für extreme Deutungen. Selten folgen scharfe Dissonanzen, vertrackte Polyphonien und sublimer Gesang so dicht aufeinander. Den vielfältigen Facetten dieser Musik geben Sinfonietta und Campus cantabile, Orchester und Chor der Universität Potsdam, betörenden Ausdruck. Unter der Leitung von Kristian Commichau erklingt fast das gesamte „War Requiem“ von Benjamin Britten sowie Stücke aus seiner Nikolaus-Kantate. Doch diese und einige Instrumental- und Vokalwerke von Purcell dienen letztlich der Handlungsuntermalung. Was schade ist, denn die Musik wird damit, wie Filmmusik, fremden Zwecken untergeordnet. Das stand sicher nicht in Brittens Interesse als Komponist.
Der Universitätschor, verstärkt durch die Vocal-Concertisten Berlin, zeigt außerordentliches hohes gesangstechnisches Niveau und geschmeidige Artikulation. Ein besonderer Höhepunkt ist der Gesang der Sopranistin Julia Meinecke, die beim Sanctus“ und beim „Lacrimosa“ mit glockenreiner Stimme bezaubert. Auch die beiden Knabensoprane (Kaspar Jamme, Jan Leon Scheel) machen ihre Sache sehr gut.
Die Aufführung hinterlässt jedoch zwiespältige Gefühle: So wie die Musiker und Sänger nur als Silhouetten hinter einem Gazevorhang zu erkennen sind, verschwinden die musikalischen Meriten hinter der szenischen Darstellung.
Babette Kaiserkern
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