Von Dirk Becker: Zwingen lässt er sich nur ungern
Gilad Ben Ari und Venke Sortland haben sich an Körperhaltungen probiert / Präsentation am Samstag
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Der Körper sucht sich seinen Weg. Das ist die Erfahrung, die Gilad Ben Ari in den vergangenen zwei Wochen gemacht hat. Er hat seinen Körper in eine Haltung gezwungen, die nicht die seine war. Und für eine gewisse Zeit hat sein Körper sich diesem Zwang ergeben. Doch dann hat er Signale ausgesandt, hat Gilad Ben Ari klargemacht, dass es so nicht geht. Und Gilad Ben Ari, in seiner selbst auferlegten Zwangshaltung, hat damit begonnen, seinen Körper neu zu entdecken.
Zuerst hat Gilad Ben Ari versucht, den Rücken zu bewegen. Doch der saß fest im selbst gebastelten Geschirr. Dann hat er es mit den Hüften versucht. Und da hat ihm sein Körper signalisiert, dass genau da die Lösung liegt. Gilad Ben Ari hat sein Becken einfach nur ein Stück nach vorn geschoben, was auch nicht seiner ursprünglichen Haltung entspricht. Aber sein Körper konnte sich so wieder aufrichten. Und mit der veränderten Haltung hat sich auch Gilad Ben Aris Stimmung gehoben. Ein wenig gebeugt in den Knien zwar, aber mit lässig schlenkernden Armen ist Gilad Ben Ari weitergegangen. Das habe sich gut angefühlt, sagt er. „Like a dude!“
Gilad Ben Ari ist von der Bank im Garten des „fabrik“-Cafés aufgestanden und zeigt noch einmal wie sich das anfühlt, „like a dude“. Es sieht schon etwas komisch aus, wie er da, trotz seines gekrümmten Rückens, versucht, aufrecht durch die Gegend zu scharwenzeln. Aber im Grunde reicht ein Blick in sein hageres, unrasiertes Gesicht, in dem jetzt ein breites und seliges Grinsen sitzt und es wird klar, dass er sich gerade wirklich fühlt wie ein Geck, der mit dieser gewissen Was-kostet-die-Welt-Attitüde durch das Leben geht.
„Sit up bent“ heißt diese Körperstudie, die Gilad Ben Ari zusammen mit Venke Sortland als „Artists in Residence“ in Potsdam verfolgt hat. Am morgigen Samstag werden der Israeli und die Norwegerin im Rahmen der „Offenes Studio: Arbeitswochen Choreografie“ genannten Werkschau in der „fabrik“ ihre Ergebnisse von „Sit up bent“ vorstellen. Insgesamt haben in den vergangenen zwei Wochen 15 Choreografen unter anderem aus Amsterdam, Athen, Brüssel, Berlin, Paris und Tel Aviv unter Anleitung von Mentoren in fünf Projektgruppen neue Ideen entwickelt oder an schon begonnenen Projekten weitergearbeitet.
Gilad Ben Ari und Venke Sortland und die anderen Choreografen, die an diesem Nachmittag auf den Bänken vor dem „fabrik“-Café sitzen, zählen mit zu den letzten glücklichen Nutznießern dieser Arbeitswochen. Denn das mit 280 000 Euro im Jahr geförderte „Artists in Residence“-Programm läuft in diesem Jahr aus. Innerhalb von fünf Jahren wurden so in Potsdam 100 Tanz- und Choreografieprojekte mit mehr als 400 Künstlern und Künstlerinnen umgesetzt. Allein 360 Bewerbungen aus der ganzen Welt hat es in diesem Jahr für die insgesamt 15 „Artists in Residence“-Stipendien gegeben.
Gilad Ben Ari und Venke Sortland haben ihre Zeit in Potsdam vor allem damit verbracht, sich die Stadt anzuschauen. Weniger die Schlösser oder das Pittoreske der historischen Innenstadt. Gilad Ben Ari und Venke Sortland haben in Supermärkten gestanden, waren im Arbeitsamt im Horstweg, das ja offiziell und hoffnungsvoller Agentur für Arbeit genannt wird. Sie haben dabei nicht das Besondere, sondern das ganz Normale in diesen Gebäuden gesucht: Menschen, die hier ein- und ausgehen. Und sie haben diese Menschen genau beobachtet.
Gilad Ben Ari und Venke Sortland wollen Körperhaltungen, typische physische Muster dokumentieren. Haltungen, geformt durch unsere Umgebung. Haltungen, die etwas über uns, über unser Verhalten, unsere Einstellungen verraten. Für zwei typische, ja fast schon stereotype Haltungen haben sie sich dann entschieden. Die gebeugt devote und die aufrecht selbstbewusste. In diese haben sich Gilad Ben Ari und Venke Sortland dann regelrecht gezwungen.
Zuerst haben sie es mit Klebeband versucht, dann mit Gips, doch ihre Körper haben sich dem widersetzt. Dann haben sie eine Art Geschirr entworfen und genäht, das auf den ersten Blick an einen Klettergurt erinnert. Und weil die Riemen an diesem Geschirr verstellbar sind, haben Gilad Ben Ari und Venke Sortland ihre Körper endlich in die gewünschte Position zwingen können. Zumindest für eine bestimmte Zeit.
Sie haben sich unwohl gefühlt, vor allem körperlich. Gilad Ben Aris Körper hat dann schon nach kurzer Zeit einen Weg gefunden, dem erzwungenen Gebeugtsein wenigstens zum Teil zu entgehen. Für Venke Sortland war das schwieriger. Der so stolze und aufrechte Gang gab ihr weniger erhofftes Selbstbewusstsein, und sie entkam ihm auch nicht. „Ich dachte bald, so muss sich jemand fühlen, der einen steifen Hals hat“, sagt Venke Sortland.
So haben Gilad Ben Ari und Venke Sortland erkennen müssen, dass sich ihre Körper auch im selbst entworfenen Geschirr nur mit Widerwillen in bestimmte Haltungen pressen und dass sich durch eine solche Körperhaltung die damit verbunden geglaubte Gemütsverfassung nicht erzwingen lässt.
Die Präsentation der Arbeitswochen Choreografie beginnen am morgigen Samstag um 18 Uhr in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse. Der Eintritt ist frei, um Voranmeldung wird gebeten unter Tel.: (0331) 24 09 23
Dirk Becker
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