Kultur: Zwischen den Gegensätzen Francesco Tristano
im Nikolaisaal
Stand:
Ein Unbehagen blieb. Was nicht durch die Musik, sondern durch den Ort ausgelöst wurde. Mit „Klavier 2.0“ war das Konzert von Francesco Tristano am Samstag im gut besuchten Nikolaisaal überschrieben. Ein Abend zwischen Techno und Klassik, und das in einer Verbindung, wie sie nur der 31-jährige Tristano beherrscht. Auf der Bühne des Saals ein bekanntes Bild: Einsam steht der große Steinway-Flügel. Ruhig wie ein schlafendes Tier, das nur zweier Hände bedarf, um es zu entfesseln. Neben und auf dem Flügel – das ist das Unbekannte in dem vertrauten Bild – elektronisches Gerät und ein Keyboard. Je länger man vor dem Konzert dieses Stillleben betrachtete, umso deutlicher wurde einem die Schwierigkeit, auf diese einfache Art zwei Gegensätze zu verbinden: den Konzertsaal in seiner klassischen Funktion, seiner klassischen Trennung von Künstler und sitzendem Publikum zu belassen, ihn aber gleichzeitig für eine Musik zu öffnen, die in erster Linie den Körper anspricht und nach Bewegung drängt. Dann betrat Tristano die Bühne, setzte sich hinter seine eigenwillige Mischung aus Klavier und DJ-Pult und machte das Unbehagen komplett.
Mit „Mambo“, „Nach Wasser noch Erde“ und „Eastern Market“ standen gleich drei Eigenkompositionen von Tristano auf dem Programm, in denen er dem elektronisch-treibenden, zuweilen ekstatischen Puls des Techno huldigt. Und gerade durch den wilden „Mambo“ und seinem elektrisierend-vibrierenden „Eastern Market“ wurde das Gegensätzliche so klar deutlich: Auf der Bühne entfesselte Tristano ein leidenschaftliches Biest Musik, das Publikum saß brav in den Sitzen und ließ sich in Einzelfällen zu einem Wippen mit den Füßen oder dem Oberkörper hinreißen.
Zwischen dem eröffnenden und abschließenden Block mit Techno-Klavier-Eigenkompositionen hatte Tristano Werke vom großen Barockkomponisten Dietrich Buxtehude gestellt. Und zu erleben, wie selbstverständlich Tristano sich gleichzeitig in diesen Welten bewegen kann, hat den Besuch des Konzerts gelohnt. Und wenn er bei Buxtehude nicht nur auf eine elektronische Verstärkung, sondern auch auf die visuellen Spielereien verzichtet hätte, wäre der Genuss seines Spiels fast schon perfekt gewesen. Wie er hier die 32 Variationen „La Capricciosa“ über das Kinderlied „Kraut und Rüben“ spielte, mit diesem feinen, akzentuierten und gelegentlich auch kantigen Anschlag, diesem improvisierenden Schlenker, das brauchte keine projizierten Bilder auf der Bühnenrückwand. Diese Musik steht für sich allein. Dirk Becker
Dirk Becker
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