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Eleganz und Präzision. Die Tänzer aus Spanien überzeugten.

© promo

Kultur: Zwischen den Stühlen

Umjubelt: Flamenco mit der spanischen Compañia Antonio Najarro im Nikolaisaal

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Bühne frei für den Flamenco. Schon an der Musik ist zu merken, dass hier kein gewöhnlicher Flamenco zelebriert wird. Im Bühnen-Hintergrund stehen am Sonnabend im Nikolaisaal ein Gitarrist, aber auch ein Geiger, ein Kontrabassist und ein Schlagzeuger. Eine Pianistin vervollständigt das Ensemble. Zu treibenden Klängen zieht die Compañia Antonio Najarro ein, in vollem Glanz, gekleidet in schwarz-weiße Anzüge und edle Flamencoroben.

Wie Genrebilder aus dem Fotoalbum des Flamenco wirkt das erste Tableau. Ganz Majo, wie der Flamenco-Tänzer des 19. Jahrhunderts genannt wurde, zeigen die Herren stolze Posen und schnelle Pirouetten, stampfen heftig mit den Hacken und klatschen in die Hände. Zum Prasseln ihrer Kastagnetten wirbeln die Damen mit den Schleppen um die eigene Achse. Die Flamencoschuhe bleiben auch in den folgenden Nummern an, auch wenn das preisgekrönte Programm „Jazzing Flamenco“ heißt. Es bedeutet, dass dieser Flamenco zwar Elemente aus anderen Genres borgt, aber letztlich gestärkt daraus wieder hervorgeht.

Wie freimütig und selbstbewusst dieser Prozess ablaufen kann, konnte man beim Auftritt der stolzen Spanier erleben. Recht eigenwillig wird eine „Rhapsody in Blue“ interpretiert. Erst klagt eine sirenenhafte Sängerin, Angela Cervantes, in blauem Meeresgewand und mit langen roten Locken elegisch von „Nächte der Lust“, dann erklingt plötzlich ein cooler Bassgroove, schließlich fetzige Gitarrenklänge, zu denen sechs blaue weibliche Wesen verlockend tanzen und mit den Fächern winken. Dann führen fünf spanische Majos zum Walking-Bass von „Ragtime“ einen raumgreifenden Werbungstanz auf. In ungewöhnliche Ausdrucksbereiche bewegt sich „Ambiguedad“. Drei Personen, eine Frau im Anzug, ein Mischwesen, gekleidet zur Hälfte in Anzug und Kleid und ein Tänzer mit langer schwarzer Spitzenrobe vollführen dramatische Geschlechterdiskurse. Doch letztlich überwiegt auch bei diesem raffiniert-modernen Flamenco die Lust am Tanzen an sich. Hier wie auch sonst neigt die Musik zu krachendem Tosen, oft aufdringlich überstrahlt von der Solo-Violine voller Tango-Schmelz und Sarasate-Vibrato. Die argentinischen Wurzeln des Gitarristen und Komponisten Fernando Egozcue kommen immer wieder zum Vorschein. Dass sich so zu Flamenco, Funk und Jazz noch etwas Tangoflair gesellt, ist letztlich nur eine internationale Note mehr.

Wie man von der Seguirya, der ernst-getragenen Form des Flamenco, zu Blues und Funk gelangt, zeigt das Stück „Sein“. Tanzt die Solistin Estíbaliz Barroso zunächst im Schein der Mondsichel beim Klang weicher Schlagzeug-Besen, wirbelt sie schließlich zu elektrisierenden Funk-Rhythmen. Kurz vor Schluss dann der große Auftritt von Antonio Najarro, Tänzer, Choreograph und Compagnie-Gründer. Er erscheint stolz, wird wie ein Gockel im Hühnerhof von rotgekleideten Damen umschwärmt. Ob dieser Auftritt, gewissermaßen vom Majo zum Macho, ironisch gemeint ist, bleibt offen. Egal, denn Antonio Najarro präsentiert ein bravouröses Solo voller Eleganz, Präzision und Aplomb. Es wirkt wie ein Leitmotiv, wenn das letzte Stück „Jazzing“ einen furiosen Ensembletanz auf und zwischen den Stühlen zeigt. Zwischen den Formen und Traditionen ist ja auch diese zeitgenössische Flamenco-Fusion angesiedelt. Mit Jubel wird das spanische Ensemble verabschiedet. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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