Kultur: Zwischen Evangelium und Ideologie Die Garnisonkirche und der „Tag von Potsdam“
Zufall oder Inszenierung? Diese Frage bestimmte in den letzten Tagen die Debatte um den „Tag von Potsdam“.
Stand:
Zufall oder Inszenierung? Diese Frage bestimmte in den letzten Tagen die Debatte um den „Tag von Potsdam“. Auf einer Konferenz des Moses Mendelssohn Zentrums am vergangenen Wochenende wurde sie mit Blick auf die Selbstinszenierungen beteiligter Gruppen und Institutionen erweitert und differenziert.
Der Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 war kein Zufall, aber er erzwang für die Eröffnung des neu gewählten Reichstages die Wahl eines anderen Ortes. Potsdam schien ideal: einerseits eine Garnisonsstadt, andererseits wie keine zweite Stadt ein Symbol für Preußen und seine Tradition. Die Gräber der Könige lagen in der Garnisonkirche, und da das Gebäude groß genug gewesen wäre, um alle Abgeordneten des neuen Reichstages zu fassen, wäre sie ideal gewesen für die Eröffnungssitzung am 21. März 1933.
Wäre. Tatsächlich fand die Sitzung zwei Tage später in der Berliner Kroll-Oper statt, denn der Hausherr, der Generalsuperintendent der Preußischen Landeskirche Otto Dibelius, verweigerte eine solche Nutzung – und stimmte dem Kompromiss zu, die Kirche für einen Staatsakt zur Verfügung zu stellen. Thomas Brechenmacher, Professor für Neuere deutsche Geschichte an der Universität Potsdam, rekonstruierte diese Entscheidungsvorgänge und beleuchtete die Person des evangelischen Theologen.
Dibelius war einem persönlichen Zwiespalt ausgesetzt: Als Politiker habe er die „nationale Revolution“ befürwortet. Als Christ beharrte er jedoch strikt auf der Unabhängigkeit der Kirche. Das Evangelium müsse Distanz zu jeder menschlichen Ideologie halten. Politik gehöre nicht in eine Kirche. Ein symbolischer Staatsakt aber, wie der Händedruck zwischen dem Reichspräsidenten Hindenburg und dem Reichskanzler Hitler, wurde von Dibelius weniger als profaner Akt denn als „Weihezeichen für eine neue Zeit“ verstanden – und begrüßt.
Die flankierenden kirchlichen Festgottesdienste fanden dann auch, ganz im Sinne der Trennung der Sphären, in der katholischen Peter und Paul-Kirche und in der evangelischen Nikolaikirche statt, wo Dibelius eine Festpredigt hielt, die ihm die Nazis, so Dibelius in seinen Lebenserinnerungen, nie verziehen haben. Publiziert wurde nur der Teil der Rede, in der Dibelius betonte, dass sich die Kirche der staatlichen Macht nicht entgegenzustellen habe, auch wenn diese Gewalt gegen Feinde anwende. Nicht abgedruckt wurde sein Beharren darauf, dass in der Welt der Religion allein Gottes Wort gelte und jegliche menschliche Religion wertlos sei. Das Zeugnis des Christentums, so Dibelius, müsse unmittelbar sein und dürfe sich niemandem unterwerfen.
Bei der Erarbeitung seiner Rede ließ er sich von dem Theologen Karl Barth und dem Politiker Theodor Heuss beraten, die ihn aufforderten, auch für die Deutschen zu reden, die sich vom Glockengeläut und den geschwenkten Fahnen der neuen Zeit abwendeten, für die Skeptiker und für die politischen Gegner. Dibelius tat dies nicht. Mit keinem Wort aber gedachte er der Opfer, die zu diesem Zeitpunkt bereits mundtot gemacht worden waren, der Kommunisten, denen am 8. März ihre Reichstagsmandate aberkannt worden waren, oder derer, die an eben jenem „Tag von Potsdam“ im KZ Oranienburg inhaftiert waren.
Am 23. März 1933 erließ der Reichstag das Ermächtigungsgesetz, das den Parlamentarismus endgültig verabschiedete und die Macht im Staate ganz in die Hände Hitlers gab. Im April 1933 wurde die evangelische Kirche gleichgeschaltet und Dibelius seines Amtes enthoben. Er verließ Deutschland – und kehrte 1934 zurück, um fortan in der Bekennenden Kirche mitzuarbeiten. Eine heutige Wahrnehmung, dass mit dem Staatsakt die Garnisonkirche von den Nationalsozialisten geschändet wurde, teilte, so Brechenmacher, am eigentlichen „Tag von Potsdam“ kaum jemand, auch nicht Dibelius.
Lene Zade
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: