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Kultur: Zwischen Freiheit und Ausweg

Kafkas Bericht für eine Akademie im Theaterschiff

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Kafkas Bericht für eine Akademie im Theaterschiff Affe oder Mensch? Ein Mittelding gibt es nicht. Wenn dem nun so ist, dann war oder wäre Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“ von 1917 tatsächlich eine Sensation gewesen: Kein geringerer als der weitbekannte „Rotpeter“ gibt den Hohen Herren wortreich an, wie er dank Hagenbeck''scher Fangtrupps von einem schimpansischen Sträuner der afrikanischen Goldküste zum allgemeinen Objekt der menschlichen Aufmerksamkeit wurde, begehrt in bürgerlichen Salons wie in allen Varietés der großen Metropolen. Seine „Menschwerdung“ gleichsam. Der Prager Autor, an philosophischen Fragen genauso interessiert wie an Einstein und Darwin, brauchte nur zehn Seiten Prosa, um diesen kolossalen Vorgang hinlänglich darzustellen: Die Gefangenschaft in einer zu engen Kiste auf dem Schiffsdeck, seine Begegnung mit Branntwein, die Entdeckung, dass es zu dieser Gefangenschaft zwar keine Alternative gab, wohl aber einen Ausweg, nämlich die bestmögliche Nachahmung sapientischer Eigenschaften. Es wurde. Rotpeter lernte den Gebrauch von Sprache und Schrift, bis er würdig war, vor der Creme der Intelligenz aufzutreten, in der Akademie. Höher hinauf geht''s nicht. Wer diese Provokation ernst und biestert nimmt, ist selber schuld. Franz Kafka (1883-1924) spottete darin sowohl Darwin''s als auch dessen gelehrter Adlaten, denn Gleiches kommt zu Gleichem, und Affe bleibt eben Affe. So gibt es in den Varia zum Text eine Stelle, aus der klar hervorgeht, daß Rotpeters erstem Dresseur pikanterweise genau das Reziproke widerfährt: Während das clevere Tier nur scheinbar „vermenscht", verafft der arme Herr Busenau wirklich. Aber Kafka wäre Kafka kaum, wenn es nicht ungezählte Lesarten seiner Texte gäbe, mehr oder weniger „kafkaeske": Die Darstellung seines „Berichtes" am Samstag auf dem Theaterschiff durch eine freie Theaterinitiative näherte sich dem Stoff mit erstaunlicher Naivität und dennoch intellektuell. Regisseur Hans-Dieter Heiter und seinen Protagonisten Guido Schmitt interessierte das Verhältnis von „Freiheit und Ausweg“ in Rotpeters „Zwittergestalt“. Sozusagen das Leben jenseits der Flucht-Variante, was dem alten Affen Umgang mit philosophischer Begrifflichkeit unterstellt. Vor samtrotem Vorhang gibt es nur ein Versatzstück in Gestalt eines stabilen Rednerpultes (Bühne, Kostüm Gabi Klinke), zugleich jener Käfig für alle Narren der Freiheit. Guido Schmitt nun hüpft und äfft (hervorragende Nachahmung des Tieres) fast eine gute Stunde durch dieses Terrain, mehr Affe als Mensch, kein Zweifel. Die Regie ließ immer wieder das tobsüchtige Tier in ihm durchscheinen. Rotpeter (prächtige Maske) berichtet also der Akademie, wie seine vermeintliche Menschwerdung geschah, fast bar aller Ironie und jedweden Untertextes, den die Bühne von diesem Text dringend erwartet. Letztlich bezahlte man die kongruent-naturalistische Spielweise – was er sagte, das zeigte er auch sogleich – mit einem Verlust an Rezeptivität. Es geht doch gar nicht um das Wesen da oben, sondern ums Publikum, um die dürre und so dumme Akademie. Was sie glauben soll und kann, macht den Reiz dieses Theaterspieles aus. Da wären schauspielerische Tricks und etliche Täuschungen möglich gewesen. Kafkas Text gibt das allemal her, die Bühne dürstet danach, Darwin''s Weisheiten bloßzustellen, zu zeigen, auf welchem Irrweg man ist, gerade heute, wo der Streit mit den „Kreationisten“ neu anfacht. Die Varias zum „Bericht“ geben dem Darsteller genugsam Substanz, seinen Hass gegen die Menschen herauszubellen, mithin gegen das Publikum zu spielen. Was war an dieser intellektualisierenden Inszenierung denn dunkel, „kafkaesk“ oder bedrohlich? Sie bedeutete weder Sensation noch Provokation. Zu matt, zu nett. Man kann es bühnengerecht auch anders sagen: Zu wenig Mensch im Affen. Schade. Gerold Paul

Gerold Paul

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