Kultur: Zwischen gestern und heute
Das letzte Vocalise-Konzert dieses Jahres gestalteten der Neue Kammerchor und das Neue Kammerorchester Potsdam
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„Wir treten in einen Dialog mit der Vergangenheit ein als sei das ein Dialog mit der Folklore.“, erklärte der Komponist Alfred Schnittke kurz vor seinem Tod im Jahr 1998. Werke des deutsch-russischen Komponisten standen neben Maurice Duruflés Requiem im Zentrum des letzten Vocalise-Konzerts am Totensonntag.
Es lud erneut dazu ein, über das diesjährige Motto „Dialoge“ nachzudenken. Kaum ein Komponist der Neuzeit formulierte die Chance und das Problem der modernen Musik so klar wie Alfred Schnittke: „Der Komponist der Gegenwart kann nicht an der täglich sich darbietenden musikalischen Vergangenheit vorbeigehen. Wir sind fähig, in verschiedenen Zeiten zu leben.“ Die musikalische Zeitrafferei ist in der Tat zu einem Kennzeichen der Moderne geworden. Versatzstücke und Zitate aus unterschiedlichen Epochen und Regionen bilden mehr den je den kulturellen Nährboden für Neues. Gemäß dem Vermögen des einzelnen Komponisten ergeben sich dabei sehr unterschiedliche Ergebnisse - von eklektizistischem Patchwork bis hin zu originellen, innovativen Werken. Alfred Schnittkes Kompositionen gehören zweifellos in die letzte Kategorie. Deutlich wird dies bereits in der Motette „Gospodi lisuse“, einem mächtigen, volltönenden a-capella-Chorwerk auf der Basis gregorianischer Harmonik. Der eindrucksvolle Gesang des doppelt geteilten Neuen Kammerchors Potsdam ging unmittelbar über in Schnittkes Streichquartett No. 2 in einer Bearbeitung von Ud Joffe für Streichorchester. Hier tritt die Schöpferkraft des Komponisten mit voller Wucht zutage. Das viersätzige Werk verwandelt archaische Motive aus liturgischen Gesängen der russisch-orthodoxen Kirche in aufregende, hochexpressive Musik.
Ausgehend vom einem dissonanten Beginn in höchsten Flageolettlagen über sausende Endlosschleifen der Streicher und ostinate Phrasen, über schauerlich grelle Höllenschlünde und vehemente Kontraste zwischen elegischen Urgründen und esoterischen Sphärenklängen des Finales begegnen dem Hörer fesselnde Tonwelten. Völlig anders, vor allem weitaus beruhigender geht es bei Maurice Duruflé zu, wie Schnittke ein Komponist des 20. Jahrhunderts. Seine ebenfalls auf Gregorianischen Motiven basierenden Motetten „Ubi caritas“ und „Notre père“ wirken ungleich geschmeidiger, lieblicher und zuversichtlicher. Friedvoll und gar nicht fürchterlich klingt Duruflés Requiem, in dem der Komponist auf zwei übliche Sätze der Totenmesse, das „Dies irae“ und das „Rex tremendae“, verzichtete. Stattdessen verleihen die eingefügten Sätze „Liberame“ und „In paradisum“ dem Werk mit delikater Instrumentierung, schwebender Tonalität und engelsgleichem Gesang einen zeitlosen, tröstenden Gestus. Schon zuvor hatte die Sopranistin Bhawani Moennsad im „Pie Jesu“ mit edlem, schmiegsamem Mezzo-Gesang brillante Akzente in Bel-Canto-Manier gesetzt.
Vor allem muss jedoch der Neue Kammerchor Potsdam gelobt werden für seine überaus reine, bewegliche und ausgewogene Interpretation der höchst anspruchsvollen Gesangspartien. Auch das Neue Kammerorchester Potsdam mit Wolfgang Hasleder an der allerersten Violine erfreute mit klangvoller Darbietung.
Dazu erklang die von Tobias Brommann raffiniert „französisch“ registrierte Orgel. Ud Joffe, Chorleiter, Dirigent und Gründer der Vocalise behielt auch diesmal bis zum Finale den Stab sicher in der Hand und ließ den Dialog mit Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft münden. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern D
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