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Von Gerold Paul: Zwischen Hirnströmen und Haltungsfragen
Die Kabarettisten von den Bücherwürmern und Barbara Kuster mit ihren aktuellen Programmen
Stand:
Dieter, ein leidenschaftlicher Sammler zeitgenössischer Verblödungen, hat es nötig. Er will unbedingt in eine brandenburgische Klapsmühle eingewiesen werden, weil da kein Rauchverbot herrscht. Aber was er auch anstellt, es klappt einfach nicht. Dummstellen beim Idiotentest, Schönheitswahn, Ökowahn – immer nur Fehlanzeige. Nicht mal die religiöse Nummer zieht – ein anderer hat schon die Stelle als Stellvertreter des Höchsten besetzt. Wahnsinn! Der arbeitslose Dieter, mit Gattin Jutta und Tochter Nikolle in Wahngemeinschaft lebend, weiß nicht mehr weiter.
Zum Glück gibt es das Wellnessprogramm der Potsdamer Bücherwürmer. Hier wird jedem geholfen, auch denen, die sich am Freitag in die Charlottenstraße 31 verirrten, um den Schnaps- und Wahnideen des alerten Quartetts gastspielmäßig zu lauschen. Wenn man nämlich dergestalt „wertvolle Hirnströme“ vermeidet, sei „Endlich wieder Platz im Kopf“, so die verbohrte These des cleveren Programm-Autors Frank Rawel. Und dann? Beim Ausstieg aus der Geisteskraft stoßen Kristina Tschesch, Doreen Preisendanz, Ronald Gohr und Thomas Görner als Dieter auf eine Antiwelt, darin alles, was bisher als gut und richtig galt, verkehrt wird. Wenn Tochter Nikolle zielstrebig fürs Abi büffelt statt verdrogt auf der Straße zu vergammeln, die Verkehrung der Gesundheitsidee kritisiert wird, oder der ReziprokSalto in Sachen IQ beim Fernsehen, dann merkt man bald, dass die von irgendwo Oben verordnete Gleichmacherei alle gleich blöd macht. Beabsichtigt! Das Publikum lacht noch dazu, statt die Bühne zu stürmen, oder sich verzweifelt an Bäume zu hängen. Die Bücherwürmer sind der vielleicht letzte Abglanz einer vergangenen Amateurkabarett-Kultur, wo es eher um eine Sache denn wider Namen ging. Es ist eines der wenigen Ensembles, die sich dem Bühnen-Spiel verschrieben haben, nicht dem Wort-Gequatsche.
Also rennt Ronald Gohr etwa mit einem Schmetterlingsnetz durch die Welt, um entlaufene Klapsmühlenbrüder einzufangen, während Thomas Görner rollenden Auges unbedingt in seine Zwangsjacke will. Datenspeicherung von innen ist bei den Bücherbohrern mit einem Schluck-Chip garantiert, und alle Drüsen stehen still, wenn die Pharmazie es will. Gesungen, gespielt, auch argumentiert es war eine Freude, diesen zuzuhören und zuzuschauen, auch dem Mann am Klavier, Bernd Langenberg. Nicht alle Szenen sind wirklich auf Sinn gespielt, es gibt Schleppchen, verschenkte Pointen, doch wie war das gleich: In der Schule wird Gewaltlosigkeit gepredigt, aber wenn es um Reformen geht, sollen alle bluten? Spöttischer Schluss-Song: Dieter, Du wirst gebraucht! Die Truppe, will etwas, und sie tut es!
Barbara Kuster genießt wohl den Ruf, der Schrecken aller hiesigen Kabarettbühnen zu sein. Was sie kann, ist immer wieder bewundernswürdig: Mit spitzester Zunge argumentieren, wie Tina Turner rocken, schauspielern, singen, chargieren, das Publikum zum Weinen oder zum Lachen bringen, ganz nach Belieben. Sogar den Beifall steuerte sie am Samstag mit einem befohlenenen „Aus!!“ Auf dem Theaterschiff war die sozusagen diensthabende Walküre mit Schuhgröße 43, die dem schwachen Mann die Bierkästen hochträgt und den kleineren Kerlen ganz schön zusetzen kann, ein Kraftprotz eben. Logisch also, wenn sie ihr neues Programm, eine Reprise früherer Nummern, selbstironisch „Haltung ist alles“ nannte. Alles war hier tatsächlich Haltung, ist aber „Haltung“ auch alles?
Umgraben gegen Depressionen, Verzicht auf Bodybuilding wegen drohender Verblödung, Spott auf Hamburger Erotik-Animateure, Mitleid und Respekt vor J. R. ihrem SPD-treuen Gatten – das waren schon Haltungen. Auch die flotten Nummern gegen den Amore-Italiener und gegen „Schwusos“. Ein Erbarmen für die Kanzlerin, ein zweites für einen schwächelnden Platzeck, dem soeben die Speerspitze abgebrochen sei? Dergestalt Handzahmes hätte genauso schlecht aus dem befreundeten Kabarett nebenan kommen können. Aus jedem Dorf ein Köter, aber nicht sehr viel Biss. Eher ein gut gemachtes Potpourri zum Ablachen, warum nicht.
Da ging es um den „republikflüchtigen“ Kartoffelschäler, um ein von einem Schoko-Croissant ausgelöstes Beziehungsdrama, um „Dream a little Dream of me“, in Tagebaue deportierte Raucher und andere Schnurren. Nichts Ernsthaftes, kaum Elementares. Ist Barbara Kuster auf den Hund namens „Comedy“ gekommen? Sie stellt Menschlich-Unmenschliches zwischenmenschlich dar, fast jeder Satz enthält einen findig-windigen Hang zum Bösen, was ja nur gut sein kann. Nur die Themen, die sind so klein und so niedlich: Adieu liebe Gans, die ich fraß!
Parodieren und Persiflieren sind eine große (von ihr brillant beherrschte) Sache, aber wären globale und existentielle Themen nicht einer so hoch geschätzten Tremolo-Königin würdiger, damit endlich wieder Schrecken und Entsetzen auf den Kabarett-Bühnen einziehen, als „Lacher“ getarnt? Die Bücherwürmer zeigten doch die Demontage und Verkehrung der jetzigen Welt. Sie fragten nur nicht nach dem Wer und Warum. Auf dem Theaterschiff wurde kaum nach der Welt gefragt. Auch eine Haltung.
Das Programm „Endlich wieder Platz im Kopf“ der Potsdamer Bücherwürmer ist im Internet kostenlos abrufbar unter www.meinemacke.de
Gerold Paul
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