„Peer Gynt"-Premiere am Hans Otto Theater: Zwischen Nichts und Außen
Alexander Nerlich inszeniert - nach "Urfaust" und "Hamlet" - Ibsens modernen Klassiker „Peer Gynt“, und zwar als Psychogramm eines Suchenden und Verlorenen.
Stand:
Man kann sich Peer Gynt als postmodernen Menschen vorstellen. Er ist einer, der rast und dabei doch überfordert ist von den Möglichkeiten, die das Leben bietet. Er stiehlt die Braut eines anderen und verliebt sich dabei schon in Solveig, doch auch hier treibt ihn das Verlangen weiter, treibt ihn durch die Welt – bis Marokko und Kairo kommt er – und bleibt am Ende doch ohne Substanz.
„Wer ist das denn, dieser Peer Gynt, das weiß man ja schon nicht“ sagt Alexander Nerlich, der das Stück von Henrik Ibsen aus dem Jahr 1867 am Hans Otto Theater inszeniert. Weil er so beweglich ist, entsteht für Nerlich eine Bewegungsunschärfe. Zu behaupten, er suche sich selbst, klinge da schon fast absurd – „ich glaube aber, das stimmt“, sagt Nerlich. „Irgendwann aber muss er herausfinden, wer er ist – weil es sonst kein Ende gibt, auch keinen Tod oder Jenseits, keinen Ort für seine Seele, keinen liebenden Gedanken an jemanden, den er glücklich gemacht hat, sondern einfach: nichts“. Die Selbstfindung also nicht als Wellnesstrip sondern als Imperativ des Menschseins. Zwingend, um überhaupt gelebt zu haben.
Beneidens- oder bemitleidenswert?
Dabei könnte man diesen Peer, zumal als Frau, auch heute noch auf den ersten Blick beneiden. Weil er sich so von seiner Lebenslust treiben lässt, ohne Verantwortung zu übernehmen. Ein Macher ist, einer, der Erfolg hat, der ein scheinbar rauschhaftes Leben führt. „Die Bewegungsunschärfe, seine Schnelligkeit hat auch etwas vom Spurenverwischen“, sagt Nerlich. In allem orientiert sich Peer Gynt an Anerkennung durch Andere, an messbarer Zuneigung, an Erfolg. Alles was ihn ausmacht, bezieht er über lange Zeit von außen – so sehr, dass er kein Innen haben kann. Er vergisst oder hat nie gelernt, zu spüren, was er selbst will, was ihn wirklich befriedigt.
Das hat – natürlich – mit der Mutter zu tun. Wie alle Mütter zu jeder Zeit vergöttert Aase, von Peers versoffenem Vater verschuldet zurückgelassen, ihren Sohn – und ist zugleich hart zu ihm. Ist zärtlich und rubbelt ihn nackt ab, schlägt ihn, schreit ihn an. Klassischer Double-Bind, die Bindung an einen Menschen, der paradoxe Signale sendet. Aase, gespielt von Rita Feldmeier, fürchtet vor allem, was die Nachbarn denken, gleich im ersten Akt geht es los: „Schämst du dich nicht, wo bist du gewesen“, fährt sie Peer an, der ein paar Tage in den Bergen verschwunden war. „Der Bankrott des Hofes geht hier einher mit dem Bankrott des Selbstwertgefühls“, so Nerlich. Und den Abstieg abwenden – das ist schon etwas Modernes, sagt Nerlich. Darin liegt ja auch die Tragik in Ibsens Geschichte: Es ist unmöglich, den eigenen Wert zu erkennen, solange man sich an anderen orientiert – aber woran soll man sich orientieren, wenn im Inneren noch kein Wert steckt?
Ein großes Schwanken
Solange ist jeder Aufstieg waghalsig, jeder Absturz vorprogrammiert. Die Bühne, die Nerlich sich – wie immer, wie auch schon bei seinem grandiosen „Urfaust“, wie auch bei „Geschichten aus dem Wiener Wald“ – von Wolfgang Menardi bauen lässt, wird deshalb gekippt. Gebaut, um zu schwanken, zu kippen, zu schliddern. Mit einem großen Nichts, einer Leerstelle in der Mitte. Peers Seele sozusagen, das Unterbewusste, aus dem allerlei Schwarzes, Öliges, aber auch Rettungsboote hervorquellen. „Wir haben uns lange am Begriff der Verstiegenheit orientiert“, sagt Nerlich – und improvisiert mal eben die erste Szene, den Streit zwischen Aase und Peer und switcht gleich weiter zur zweiten Szene, in der Peer sich selbst überbietet, völlig exzentrisch sich selbst überbietet, um die Frau zu beeindrucken, alle zu beeindrucken. Ein Narziss? Klar. Deshalb wird es auch jede Menge Wasser auf der Bühne geben – um sich darin zu spiegeln. Aber die Verstiegenheit verbaut Peer auch irgendwann jedes Mal die Rückkehr, er verletzt die, die ihn lieben – und zieht weiter.
Noch immer ein männlicher Typus?
Eine typisch männliche Figur – im Sinne der gängigen Klischees zumindest? Am Schauspielhaus Hamburg hat Simon Stones gerade ebenfalls einen „Peer Gynt“ inszeniert, erzählt aus der Sicht der Frauen. Die ja die Leidenden sind. Die daheim bleiben, auf ihn warten. „Dagegen, auch gegen meine Inszenierungsansätze, haben die Schauspielerinnen auch heftig angespielt, das ging nicht ohne Diskussionen“, sagt Nerlich. Er aber findet: Die Frauen-Figuren sind ja viel stärker als Peer – der kann sie nur nicht aushalten. Solveig etwa, die sagt: Ich bin da für dich, auch wenn du mich ablehnst. Nur: Ob ihr diese Stärke nützt? Peer ist es schließlich – im zweiten Teil des Stückes, in dem er nicht mehr von Alexander Finkenwirth, sondern von Bernd Geiling gespielt wird – der durchaus Erfolg gehabt hat. Der Sklavenhändler war, Großkapitalist.
Was braucht es zum Erfolg?
Genau das findet Nerlich interessant: Ist Peer Gynt durch seine Empathielosigkeit geradezu dazu prädestiniert, Erfolg zu haben, Macht auszuüben? „Das ist schon eine Psychopathologie der Macht, um die es da geht – ein Macho ist er aber nicht.“ Er macht keinen auf dicke Hose, eigentlich ist sie ihm zu weit. Peer stürzt auch ab, landet im Irrenhaus. Genau deshalb hat Nerlich die Rolle des jungen Peer Gynt auch mit Alexander Finkenwirth besetzt, der immer, auch in der brutalsten Szene – bei „Hamlet“ etwa, den Nerlich auch inszeniert hat, auch zerbrechlich wirkt.
Aber das ist ja auch etwas sehr Zeitgenössisches, dieses Irrlichternde zwischen allen möglichen Wesenszügen – immer auf der Suche nach Neuem, nach einer besseren Identität. Und am Ende: nach etwas, das bleibt.
„Peer Gynt“ hat an diesem Samstag im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse, Premiere. Die ist ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse, weitere Termine am 29. April, 7. und 18. Mai.
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