
© Manfred Thomas
Kultur: Zwischen Renaissance und Jazz
Ein Konzert, zwei Meinungen: Ein Neuling und ein Konzertgänger haben die neue Reihe „Aufgemischt“ besucht
Stand:
Die Augen geschlossen. Entspannt zurückgelehnt. Die Melodien genießen und sich einfach von ihnen davontragen lassen. Entspannung, Ruhe und gefühlvolle Musik schienen den Abend von „Le miroir du temps – Im Spiegel der Zeit“ in der neuen Reihe „Aufgemischt: Jazz und Renaissance“ im Nikolaisaal bestimmen zu wollen. Kreuz und quer saßen die Gäste, mal auf Stühlen, mal auf eines der gemütlich aussehenden Sofas gelümmelt. So erinnerte das Foyer an diesem Samstagabend mehr an eine Bar als einen Konzertsaal. Eine entspannte Atmosphäre war das Ziel. Und eine neue Konzerterfahrung. Denn bei „Aufgemischt“ geht es „um Musiker, die sich dem Dialog der Genres und Stile stellen und dabei eine neuartige Musik entwickeln, die nicht mehr einzuordnen ist. Ideologiefrei, neugierig, klangorientiert und jenseits der jeweiligen musikalischen Herkunft“, verpricht der Veranstalter. Eher Klubatmosphäre als steife Konzerthausatmophäre, um so auch Zuhörer zu locken, die derartige Veranstaltungen sonst eher meiden.
Manchem im Publikum war eine leichte Anspannung anzumerken. Wusste man nicht so recht, was einen erwartete? Sich unvoreingenommen auf dieses neue Projekt einzulassen – ein doch schwieriges Unterfangen. Jazz und die Musik der Renaissance? Da sind Ähnlichkeiten, die sich dem Laien nicht sofort erschließen. Man ließ sich ja selbst zum ersten Mal überhaupt auf ein solches Konzert ein. Wie wandelbar Musik dann doch tatsächlich sein kann, sollte aber spätestens nach den ersten Klängen klar sein.
Im Spotlight auf kleiner Bühne, in eine Ecke gerückt und mit Distanz zu den Zuschauern, gaben Katharina Bäuml, Michel Godard und Bruno Helstroffer mit stetig wechselnden Instrumenten den Ton an. Fragte man sich noch, wie das ein oder andere dieser interessant anzuschauenden Instrumente wohl zu spielen sei, sollten Schalmeien, Dulzian, Serpent und Theorbe den Raum mit wohlklingenden Melodien verschiedener Jahrhunderte bis unter seine hohen Decken füllen. Die anfängliche Anspannung wich purer Entspannung, die, getragen von Harmonien, die Zuhörer regelrecht umschlang.
Sah man bei der Ankündigung zum Stück „Our Spanish Love Song“ so manches Paar näher zusammenrücken, lud die erste nicht ganz so sanfte Tonart an diesem Abend tatsächlich ein wenig zum Mitswingen ein. Hier ein Fuß, da eine Hand und dort tatsächlich ein ganzer Kopf, der zum Takt der Musik in einem schieren Ausbruch von Begeisterung hin und her geschwenkt wurde.
Für die entspannte Stimmung war auf der Bühne war vor allem Bruno Helstroffer verantwortlich, der völlig in sich selbst versunken, alles um sich herum zu vergessen schien und mit seiner Theorbe und den wundervollen Melodien auch an einem Lagerfeuer nicht fehl am Platz gewirkt hätte. In so mancher Situation konnte er sich als Retter der Stimmung auszeichnen, wenn beispielsweise das blaue Zebra im Stück „Le zebre bleu“ auf unbekannten und für so manchen Zuschauer auch musikalisch verworrenen Wegen wandelte. Nach einer guten Stunde folgte dann mit einem abrupt wirkenden Ende der Übergang zu der nachfolgenden Party mit DJ Ipek. Das kurze Zusammenspiel von klassischen Instrumenten und den härteren Tönen aus dem Computer wirkte an mancher Stelle zwar ganz passend, im Großen und Ganzen jedoch zu erzwungen, um die Herzen von Musikliebhabern höher schlagen zu lassen. Zum ungehemmten Tanzen fanden sich zunächst nur einige der Zuschauer ein, die scheinbar schon den ganzen Abend nur auf diese Möglichkeit gewartet hatten. Der Rest beließ es dann doch lieber bei der Entspannung. Chantal Willers
Ja, die Sache mit dem blauen Zebra. In ihrer kurzen Ankündigung hatte sich Katharina Bäuml etwas verwundert über den Titel „Le zebre bleu“ geäußert, den sich Michel Godard für seine recht eigenwillige Komposition ausgedacht hatte. Auch wenn seine Tuba bläulich dekoriert war, beim Hören dieses Klangspektakels dachte man weniger an Farben, sondern eher an den Zustand nach reichlichem Alkoholgenuss, der gern auch als blau beschrieben wird. Und so ließ Godard sein Zebra durch die wildesten Improvisationskünste torkeln, als hätte die afrikanische Savanne heftigsten Seegang.
Le miroir du temps haben Katharina Bäuml, Michel Godard und Bruno Helstroffer ihr Ensemble genannt, in dem sie Musik der Renaissance mit eigenen Kompositionen und Jazz verbinden. Das ist in der Alten-Musik-Szene nicht neu. Am erfolgreichsten sucht diese Verbindung hier immer noch Christina Pluhar mit ihrem Ensemble L'Arpeggiata. Doch im Vergleich zu dem Querdenker Godard wirkt sie schon fast kreuzbrav. Denn Godard hat keinerlei Berührungsängste, die musikalische Verbindung von Renaissance und Jazz auch auf die Instrumente zu übertragen. Da ließ er zum eröffnenden „Le miroir du temps“ den E-Bass knurren, wurde Charlie Hadens „Our Spanish Love Song“ auf der Theorbe improvisiert. Am stärksten ist Godard aber immer dann, wenn er den Serpent spielen. Den schlangenförmig geformten Vorgänger der Tuba, der durch sein hölzernes Mundstück einen fast körperlich weichen Klang bekommt.
Dieser Abend war ein wunderbarer, dem ein Zauber innewohnte. Und wer Godards Album „Monteverdi. A trace of grace“ (carpe diem) kennt, weiß, wovon die Rede ist. Da verbindet einer die Stile und Genres wie selbstverständlich und schafft so Musik, die einfach zeitlos ist.
Die Musik der Renaissance sei ihm so nah, sagte Godard an diesem Abend, weil er ein Renaissancemusiker sei. Was zuerst paradox klingen mag, wer das Ensemble Le miroir du temps erlebt hat, weiß, dass Godard nur die Wahrheit spricht. Für die Musik der Renaissance wie für den Jazz ist Improvisation das prägendste Element. Was Katharina Bäuml in dieser Hinsicht auf ihren Schalmeien und dem fagottähnlichen Dulzian zauberte, war gelgentlich atemraubend. Helstroffer ganz unorthodox auf der Theorbe, sich nicht mit dem Part des Begleiters zufriedengebend oder nur auf Schönklang bedacht. Wenn dieses Saiteninstrument unter seinen Händen swingt oder knurrt wie ein ärgerliches Tier, darf es auch mal Schnarren und sich widerborstig geben, denn von der klanglichen Schönheit dieses Instruments wusste Helstroffer viel zu zeigen. Wie auch Godard auf dem Serpent.
Was den Ansatz der neuen Reihe „Aufgemischt“ betrifft, also mehr Lockerheit im Konzertsaal zuzulassen, da setzt das Team vom Nikolaisaal ja schon seit geraumer Zeit kleine Zeichen. Auch wenn die Veränderungen nur langsam kommen, es war ein gutes Gefühl, Gäste zu sehen, die ganz selbstverständlich während des Konzerts an die Bar gingen und sich ein Getränk holten. Dirk Becker
Chantal Willers
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