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Kultur: Zwischen Schein und Sein

Fotogramme – Schattenspiele von Pflanzen – von Dan Wesker in der Inter-Galerie Nikolaisaal

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Fotogramme – Schattenspiele von Pflanzen – von Dan Wesker in der Inter-Galerie Nikolaisaal Von Klaus Hammer Als Kinder haben wir Farnblätter auf weißes Papier gelegt und sie von der Sonne belichten lassen, wobei weiße Negative der Blätter entstanden. Denn der Einfluss von Licht auf weißem, lichtempfindlichem Papier erzeugt für gewöhnlich eine Schwärzung. Ein Gegenstand, eine Pflanze, ein Pflanzenblatt, das auf dem Papier liegt, unterbindet die Wirkung des Lichts an der Stelle, wo es aufliegt, wodurch das Weiß des Papiers dort erhalten bleibt. Da sich so eine weiße Abbildung – ähnlich einem Schatten – auf dunklem Untergrund bildet, Schatten aber im Gegensatz dazu normalerweise dunkel sind, bezeichnet man eine solche Abbildung in der Fotografie als negativ. Jede Kopie, die von dem Gegenstand, der Pflanze gemacht wird, ist ein Original oder Negativ. Wenn man dagegen anstelle der Pflanze das Negativ kopieren würde, würde man ein Positiv erhalten, das heißt die Pflanze würde schwarz, auf weißem Grund, wiedergegeben. Allerdings würde dann das Positiv die feinen Strukturen der Pflanze nicht so scharf und deutlich und zugleich so assoziationsreich aufzeichnen, weil es nicht direkt von ihr kopiert wurde. Auf diesem Vorgang beruht das Fotogramm, das fixierte Bild des Schattens, die Fotografie ohne Kamera. Es ist der älteste erfolgreiche Versuch, mit der Energie des Lichts Bilder entstehen zu lassen. Seine Geschichte fängt keineswegs erst mit den Arbeiten der Bauhaus-Künstler, mit dem Ungarn László Mohaly-Nagy und dem Amerikaner Man Ray an, die in den 1920er Jahren systematisch begannen, die Ästhetik dieser bildnerischen Möglichkeiten einzusetzen. Heute ist der Gebrauch des Fotogramms weit verbreitet, in der Werbegrafik wie in der Illustration und Dekoration. Dan Wesker, 1962 in London geboren und seit 1992 in Leipzig lebend, hatte schon 1997 seine Ausstellung „Nabelschau“ im Waschhaus Potsdam vorgestellt. Jetzt zeigt er in der Inter-Galerie Fotogramme von Gräsern, blühenden und verwelkenden Pflanzen, wie sie – von uns unbeachtet – auf Wiese, Feld und im Wald, auf jedem Stück Grün in unserer Großstadtwelt zu Hause sind. Er hat diese die Phantasie anregenden Schattenbilder, die Abbildung ist weiß mit Grauabstufungen und der Untergrund schwarz, unter Glas in schwarze Kästen gebracht, und hier können sie ihre ganze schemenhafte Schwerelosigkeit entfalten, vermitteln sie die bizarre Illusion der dritten Dimension , treten sie wie Urmaterie aus dem Licht und den Formen heraus. Die Chimären, die Trugbilder spiegeln gleichsam die entmaterialisierte Welt der wachen Träume, die Grenzbereiche zwischen Sein und Schein, sie sind im eigentlichen Sinne als romantisch und surreal zugleich zu bezeichnen. Sollte man sich vielleicht wundern über den Titel der Ausstellung – „Originale“ –, so ist er durchaus berechtigt, denn die kameralosen Fotogramme sind Originale, die mit der Fotografie nur die Substanz gemeinsam haben, ohne den Weg über die Linse gegangen zu sein. Trotz ihrer ungezügelten Vorstellungskraft sind sie „nur“ ein Abdruck der Realität, eine Spur des Objekts. Denn der Gegenstand, den das Fotogramm als Schattenfigur abbildet, ist in körperlichem Kontakt mit der Bildfläche gewesen. Es sind sozusagen „Fundsachen“, aus denen etwas Neues entsteht und die eine unmittelbar neue Wirklichkeit, eine „Über-Wirklichkeit“ annehmen. Sie brechen mit der Eindeutigkeit der Fotografie und erschließen das Bild einer vielschichtigen, lichtfluktuierenden, oszillierenden Wahrnehmung. Befreit vom Zwang der perspektivischen Darstellung vermittelt sich im Fotogramm eine faszinierende Spannung zwischen dem scheinbar Haftenden und dem Schwebendem, schattenhaft Flüchtigem und statisch Festem, dem Schatten und dem Licht, der scheinbaren Körperhaftigkeit der Objekte und ihrer gegenseitigen Durchdringung. Man sollte sich einige Minuten Zeit gönnen und die Magie und den Zauber, den diese Arbeiten ausstrahlen, auf sich wirken zu lassen. Inter-Galerie Nikolaisaal Potsdam, Wilhelm-Staab-Str. 10/11, Mo- Fr 12-17 Uhr, Sa 10-14 Uhr, bis 21. Mai.

Klaus Hammer

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