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Kultur: Zwischen Stille und Nichts Das Collegium musicum provoziert Unbehagen

Vor einiger Zeit äußerte eine junge Künstlerin nach Ende ihres Versuchs, auf dem Potsdamer Hauptbahnhof zu leben, dass dies ein Ort ist, an dem es niemals still sei. Eine Erfahrung, die sie so nicht erwartet hätte.

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Vor einiger Zeit äußerte eine junge Künstlerin nach Ende ihres Versuchs, auf dem Potsdamer Hauptbahnhof zu leben, dass dies ein Ort ist, an dem es niemals still sei. Eine Erfahrung, die sie so nicht erwartet hätte. Doch wo gibt es noch Orte der Stille? Wer überhaupt traut sich, sich bewusst der Stille auszusetzen? Stille ist etwas Unfassliches, durchaus Unbehagen provozierendes, wirft uns doch dieses scheinbare Nichts auf uns selbst zurück.

Sucht nun ein Musiker nach Stille, zumal in einer so großen Gemeinschaft, wie das Collegium musicum Potsdam, scheint a priori diese Suche ein gewagtes Experiment, denn wie schrieb Wilhelm Busch einst: „Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden.“ Stille also im Geräusch zu finden, dazu hatte das traditionsreiche Laienorchester am Sonnabendabend in die Babelsberger Friedrichskirche eingeladen. Unter der musikalischen Leitung von Knut Andreas und seinem Ko-Dirigenten Philipp Schüler strebte ein interessantes Programm, die vielfachen Facetten dieses Stille-Phänomens auszuleuchten. Höchst ambitioniert, denn mit Werken von Samuel Barber, Einojuhani Rautavaara, John Cage, Ennio Morricone und Richard Strauss standen nun nicht gerade klassikradio-hitlistenverdächtige Werke an.

Schon mit Barbers Adagio für Streicher und Rautavaaras wunderschönem Cantus Arcticus, die beide eher den melancholischen Aspekt stiller Orte thematisieren, wurde eines klar: Still-Halten ist etwas Anspruchsvolles, zumal in der Begegnung mit modernem Repertoire. Die Unruhe in den Zuschauerreihen ließ kaum einen Genuss der kunstvollen Verflechtungen der vom Tape eingespielten Vogelstimmen mit dem Orchesterspiel im Cantus Arcticus zu. Freilich fehlte diesem auch die notwendige glasklare Intonation, und fiel es schwer, den Spannungsbogen der Partitur umzusetzen. Aber dass während des Stücks nicht im Einsatz befindliche Orchestermitglieder in der Kirche herumliefen und Bekannte im Publikum begrüßten, war schlichtweg unkollegial und dem Rezeptionserlebnis mehr als abträglich. Mit Strauss Vier letzten Liedern wagte man sich an ein geradezu kosmisches Werk. Stille als der Tod, die letzte Ruhe im Leben. Gabriele Näther hatte die sehr anspruchsvolle, kräftefordernde Solopartie übernommen. Die Partitur wurde denn auch tapfer durchschritten. Wenig durchhörbar deckte der Orchesterklang vielfach die Solistin zu, die allerdings einen relativ gleichbleibend-kraftvollen Zugriff auf des Stück gewählt hatte. Nur selten schimmerten die Finessen des Werkes herauf, geriet dennoch alles eher ein wenig schmalbrüstig. Trotz der wirklich respektablen spieltechnischen Leistung: Schade, hier hatte man sich überhoben.

In der Mitte des Programms platziert: John Cage. Er komprimierte das Phänomen der Stille in seinem Werk so weit, dass nicht ein Ton erklingt. Alles schweigt. Und das vier Minuten und 33 Sekunden lang. Phänomenal, was während dieser Zeit passierte. Der Dirigent gab den Einsatz, und es geschah – scheinbar – nichts. Doch nicht den Bruchteil einer Sekunde war es still im Raum. Kaum näherte sich, schier körperlich fühlbar der Moment der Stille, raschelte es, flüsterte man wieder mit der Nachbarin, rutschte auf der Bank hin und her Fürchten wir uns so sehr? Stille war hier ein Witz, eine Geduldsprobe, der man sich halt unterzog. Versagend übrigens. So war die Stille ein – Nichts! Christina Siegfried

Christina Siegfried

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