
© Manfred Thomas
Kultur: Zwischen Traumgestalten
Rainer Ehrt und Peer Oliver Nau mit „Holz“ in der Galerie Kunst-Kontor
Stand:
Von Goethe stammt der Satz, man könnte die Sonne nicht sehen, wenn man sie nicht auch in sich hätte. Genauso verhält es sich mit den Bewohnern des Olymps und ihren Geschichten, von denen nicht nur Jupiter, Athene und Apoll heute in Europa heftige Triebmittel sind. Gäbe es sie nicht, könnte man sie ja weder zeichnen noch über sie schreiben. Wer das alles nicht glaubt – Glaube ist ja nichts anderes als ein Synonym für verdecktes, tätiges Wissen, keines für Stumpfsinn und Dummheit – kann sich in Friederike Sehmsdorfs Galerie Kunst-Kontor eines Besseren belehren lassen. Die Galeristin hat ja ein Faible für die schöne Seite der Moderne, wenn sie sich auch noch so antik tarnt. Jetzt stellt sie zwei Künstler vor, deren Gemeinsamkeit die Vorliebe für den Werkstoff Holz ist.
Zuerst die lebensgroßen Farbholzschnitte des Kleinmachnowers Rainer Ehrt. Er meint es ja auch jenseits der Preußen-Hysterie ernst mit dem Dasein, und stellt dasselbe so auch dar: als Traum im Leben, als Traum vom Leben, als Leben im Traum. Die Idee zu seiner Serie „Traumtänzer“ ist Hugo von Hoffmannsthals „Terzinen der Vergänglichkeit“ geschuldet. Dargestellt sind Figurenpaare oder -gruppen in tänzerisch überbetonter Pose, also manieriert, doch stets manierlich. Was dabei träumt, wird von dem begnadeten Künstler in verschiedenen Grautönen gehalten, das Geträumte in einem fahlen Rot. Deshalb ist das Gesamtwerk auch mit „red’n black“ betitelt. Die Augen bestimmen das Bild mehr als der Gestus. Wie in jedem Traum gibt es auch hier viele Zutaten: Fledermäuse in Rot und Grau stoßen von oben herab, fliegende Fische durchgeistern das Bild in Parade, ein Rosinenbomber zeigt das Jahr 2012 an, Musikanten und traurige Zwergenclowns, Masken und figurative Duplikate, alles beeindruckend, obwohl Ehrt den berühmten Faltenwurf an den Gewändern arg vernachlässigt. Auf Augenhöhe mit diesen kantigen und kaltäugigen Figuren fühlt man sich unbehaglich. Soll man ja auch. Führt Rot nicht immer die Schwarzen, und was würde das bedeuten? Aus Sicht des Barock ist das Leben ja doch nur ein Traum, so wie Calderon de la Barca ihn einstmals beschrieb.
Traumtänzerisch wirken auch andere griechische Motive bei Rainer Ehrt. Die Geschichte von Ariadne, Theseus und dem Minotauros eine ganz verwickelte Sache, Daphne mit Tusche und Blattgold, oder Medusa, die Schlangenbekrönte. Vor all diesem aber ein Wurf der ganz besonderen Art, eine Rarität heutzutage. Auf dem „Großen Traumtanzball“ hatte er sich aus der Ferne schon gezeigt, jener fallende Turmbau zu Babel, wie ihn Pieter Bruegel der Ältere 1560 gemalt hat. Im „Orpheus-Schrein 2013“ ziert er bedeutungsvoll die Außentüren dieses Retabels, von Sonne und Mond beleuchtet. Zwei Minifiguren in Rot rechts und links. Im Innenteil sphärisch beschleiert Euridike, von einer starr-roten Katze begleitet. Charons Flussüberfahrt in der Mitte des Triptychon mit Goldgrund, trauernd rechts Orpheus, weil die Rückführung der Geliebten aus der Unterwelt unwiederholbar misslang. Alle Mühe war nur wie Blätter im Wind. Schwarz sind hier alle Figuren, rot ziehen Krähenvögel von links nach rechts. Könnte man so etwas sehen, wenn es das gar nicht gibt? Auch Frau Phantasia schafft Wirklichkeiten, und wirklich ist, was Wirkung hat. Fast herkulisch diese Idee, samt Ausführung. Allen Respekt!
Peer Oliver Nau, 1971 in Halle geboren, hat zuerst Sport studiert, um vor knapp zehn Jahren in Weimar ein Master in „Art in public space and new strategies“ zu werden, was sich in Deutsch vermutlich nicht mehr ausdrücken lässt. Er ist mit nicht gerade uninteressanten, teils bemalten Skulpturen und Büsten von Frauengestalten im Kunst-Kontor vertreten. Ein Künstler, der mit seiner Kettensäge schier Wunder vollbringt, wie man hört, doch wer wollte schon den Pinsel loben, oder eine Säge? Die Hand führt einem doch immer ein anderer. Nau hat jedenfalls die Vollmacht, quasi das, was so ein Geschöpf eigentlich unsichtbar im Kopf hat, mit dem freundlichstem Augenzwinkern auf denselben zu projizieren. Einer mit unschuldigen Augen pflanzt er dergestalt eine grün-fette Katze auf die Frisur, ein Katzen-Kopf also, anderen einen blauen Papagei an das Ohr, Entenküken auf den gepflegten Scheitel einer dritten. Kleopatra steht im langen Schleppkleid lebensgroß, ihr Hinterteil ziert ein gewaltig roter Schmetterling. Ein zutraulicher Pferdekopf fast wie aus der Antike, ein balzender Schwanenmann aus Eiche in Originalgröße, dem seine Dame mit Hochmut begegnet, indes die Konkurrenz soeben im Sehmsdorfschen Vorgarten einfliegt. So ein Theater. Die hölzerne Rose, Engel und trauriger Engel, eine frierende Nackte, nur vom eigenen Langhaar gewärmt. Originelle Originale, auch diese alle könnten in ihrer glaubhaften Zeitlosigkeit gerade aus dem Olymp entsprungen sein – in jene Welt, darin sich Nau mit spielender Leichtigkeit bewegt, seine Objekte sind ja ein Spiel, trotz oder ob seiner Kettensäge.
Noch bis 8. November im Kunst-Kontor, Bertiniweg 1 a, Dienstag und Mittwoch, 15-19 Uhr, Donnerstag, 15-20 Uhr, und Samstag, 13-18 Uhr.
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: