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Kultur: Zwischen Werk und Zeit

Kontrastreiches Tastenspiel: Ein Klavierabend mit Elisabeth Leonskaja im Potsdamer Nikolaisaal

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Kontrastreiches Tastenspiel: Ein Klavierabend mit Elisabeth Leonskaja im Potsdamer Nikolaisaal Der Ruf einer Tastenlöwin, einer kraftvollen Heroine des Pianofortes geht Elisabeth Leonskaja voraus. Doch bei ihrem großartigen Konzertabend im Nikolaisaal in Potsdam schlug die georgische Grande Dame des Klaviers auch ganz andere Saiten an. Schon der Beginn mit den beiden Rhapsodien op. 79 des späten Johannes Brahms rückte Elisabeth Leonskajas pianistische Gaben ins Scheinwerferlicht. Mit souveräner Werkkenntniss und phänomenaler Technik bringt sie spannungsvolle, lebendige Interpretationen hervor. Als Interpretin stellte Elisabeth Leonskaja sich ganz in den Dienst des Werks und wurde zum Medium zwischen Werk und Zeit. Aus Johannes Brahms dunkel-dräuenden Rhapsodien erstanden als herbe-strenge Klanggebilde voll untergründigem Ernst und vorwärts strebender Eile – keinesfalls eine einlullende Einstimmung, sondern eine mahnende Initiation mit beethovenscher Unerbittlichkeit. Aufgrund einer kurzfristigen Abänderung folgten anstelle der Intermezzi die 7 Fantasien op. 116, die – ebenso wie einige Intermezzi immer wieder an die romantischen Wurzeln von Johannes Brahms, nicht zuletzt auf Robert Schumann, verweisen. Allerdings gelingt es Brahms hier eher selten, einen innig-intimen Ton zu treffen, da diese Klavier-Kompositionen klanglich ausladend, quasi symphonisch eingerahmt sind. Dennoch gelang es Elisabeth Leonskaja den kleinen Stücken, besonders den langsamen, so viel elegische Weichheit und verhüllte Süße einzuhauchen, dass der harte Steinway-Flügel fast wie ein Bechstein klang. Sie zelebrierte die Klangfarben der Töne, setzte kristallklare Akzente, wusste rhythmische Kontraste zu erzeugen. Von ganz anderem Kaliber war die Klaviersonate von Bela Bartok, dessen musikhistorische Bedeutung für das 20. Jahrhundert gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Obwohl selbst ein hervorragender Pianist, konnten Bartoks Klavierwerke sich auf den Podien wenig durchsetzen. Gewiss ist seine Klaviersonate auch für Ohren des 21. Jahrhunderts gewöhnungsbedürftig, aber faszinierend ist sie allemal. Von der „industriellen Tendenz der Musik“ sprach Bartok und benutzte das Klavier als quicklebendiges Werkzeug zur Erzeugung frappanter Klänge. Die kostete Elisabeth Leonskaja lustvoll aus, mit triumphaler Martellato-Technik sprang sie über die Tasten bis hin zu einem clownesken Accerelando kurz vor Ende des ersten Satzes. Im zweiten Satz dehnte und drehte sie die Töne genießerisch, erzeugte kubistisches Klangbilder voller Abstraktionen. Genial das Allegro molto des dritten Satzes, dem die wechselnden Metren bei der hohen Geschwindigkeit kaum mehr anzumerken waren. Mit außerordentlicher Klangschönheit erschien Franz Schuberts Fantasie-Sonate op. 78. Das gewissenhaft-mahnenden Hauptmotiv wusste Leonskaja eindringlich zu steigern, unterbrochen immer wieder von zauberhaft lyrischen Stellen. Auch der dramatische Binnenteil des Andantes wurde weich abgefedert von zarten Klängen, bei denen sich die außergewöhnliche Erhabenheit von Leonskajas Klavierkunst zeigte. Als geradezu überirdisch luftiges, hochpoetisches Tongespinst erschien das Trio des Menuetts, das dazu in betont hartem Kontrast stand. Brillant nuanciert, ausgelassen, mit tänzerischen Rhythmen und lieblichen Klängen erklang das finale Rondo, ein pianistischer Bravourakt schlechthin. Nach dem rauen Beginn war die Leonskaja bei dem poetischen Reichtum des klassisch-romantischen Klavierspiels angekommen. Ein langer Weg, der sich gelohnt hat, wie der begeisterte Applaus zeigte. Er wurde mit zwei Zugaben, darunter ein „Lied ohne Worte“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy, belohnt. B. Kaiserkern

B. Kaiserkern

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