Kultur: Zynische Perfidie
„Gefangen in der Filmstadt“: Filmmuseum beleuchtete das Thema Zwangsarbeit im Potsdam-Babelsberg des NS-Regimes
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Wie tief die Kluft zwischen Sein und Schein bei den Filmen war, die während des Zweiten Weltkriegs in den Babelsberger Studios gedreht wurden, zeigte die gut besuchte Veranstaltung am Donnerstag im Filmmuseum. „Gefangen in der Filmstadt: Zwangsarbeit im Potsdam-Babelsberg des NS-Regimes“ warf nicht nur einen Blick auf die Bedingungen, unter denen die Filmproduktion in Babelsberg aufrecht erhalten wurde. Zugleich lief mit „Germanin. Die Geschichte einer kolonialen Tat“ ein damals prominenter Spielfilm, der 1943 Premiere hatte. Der Regisseur dieser verlogenen Schmonzette, damals als „staatspolitisch wertvoll“ ausgezeichnet, Max W. Kimmich, war mit der jüngsten Schwester von Joseph Goebbels verheiratet. Neben der Historikerin Almuth Püschel diskutierten Jan Distelmeyer von der Fachhochschule Potsdam und Britta Lange von der Humboldt-Universität Berlin über den Film, der seine ideologische Botschaft in exotisch-afrikanischem Ambiente präsentiert.
Gezeigt wird der selbstlose Einsatz deutscher Gutmenschen beim Kampf gegen die tödliche Schlafkrankheit. Einziges Hilfsmittel ist die Medizin Bayer 205, respektive Germanin, ein deutsches Forschungsprodukt. Als Widersacher fungieren englische Kolonialherren, die mit minderwertiger amerikanischer Medizin und martialischem Verhalten den Tod bringen. Unter welch realen Umständen der Film gedreht wurde, beleuchtete Almuth Püschel. Bereits in ihrer Monographie „Zwangsarbeit in Potsdam. Fremdarbeiter und Kriegsgefangene“ (2002) dokumentiert sie dieses oft verschwiegene Kapitel der NS-Zeit aufs Genaueste.
Rund 15 000 Zwangsarbeiter arbeiteten während des Kriegs in Potsdam, mehr als 70 Lager gab es im Stadtgebiet. Die Zwangsarbeiter kamen aus der ehemaligen UdSSR, Polen, den Niederlanden, Frankreich und Belgien. Von großen Unternehmen wie Orenstein & Koppel, den Arado-Werken oder der Ufa bis hin zum kleinen Schuhmacher und Bäcker, überall trugen Zwangsarbeiter zum Aufrechterhalten des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens bei. Rund 800 von ihnen, die meisten lebten in einem Lager in der heutigen Stahnsdorfer Straße, waren in der Filmproduktion tätig. Schon im Jahr 1938 war die Ufa als wehrwirtschaftlich wichtiger Betrieb erklärt worden, ganz im Sinne der NS-Ideologen, die dem Massenmedium Film hohen Stellenwert beimaßen.
Üblicherweise standen Zwangsarbeiter nicht vor, sondern hinter der Kamera. Bei „Germanin“ wurde allerdings eine Ausnahme gemacht, da man Schwarze brauchte. Ein Großteil der 300 schwarzen „Statisten“ waren französische Kriegsgefangene, die in einem Lager in Ludwigsfelde für tropenmedizinische Experimente missbraucht wurden, so Britta Lange. Jetzt sollten sie Afrikaner spielen, kranke, leidende aber auch geheilte und glückliche Menschen. Der Anblick ihrer ausgemergelten Körper in einigen Filmszenen machte die zynische Perfidie der Sache besonders deutlich. Diese Afrikaner dienten als bloße Werkzeuge für die Deutschen. Im Film aber salbadern die Deutschen von ihrem „humanitären Auftrag“, gar von der „Rettung der Zivilisation“. Für ihr altruistisches Anliegen ist den beiden Ärzten, dargestellt von Peter Petersen und Luis Trenker, kein Opfer zu hoch, nicht einmal ein möglicherweise tödlicher Selbstversuch. In einer Schlüsselszene sieht man Dr. Achenbach als Christus medicus in Großaufnahme vor dramatisch bewölktem Himmel inbrünstig deklamieren: „Ich will euch heilen.“ Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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