Potsdam-Mittelmark: „ lediglich teilweise den Judenstern getragen“
Das Schicksal von Ernst Sabersky wirft ein trauriges Licht auf den Umgang mit verfolgten Juden nach dem Krieg
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Teltow / Schwielowsee - Der Name Sabersky ist verbunden mit dem größten Rechtsstreit um jüdisches Alteigentum in Ostdeutschland. Anfang der 90er hatte die Erbengemeinschaft Anspruch auf rund 1000 Grundstücke in Teltow-Seehof erhoben – mit Erfolg. Begründer der Villenkolonie war der Berliner Kaufmann Max Sabersky, der mit seinem Bruder Albert 1872 das Gut erworben hatte. Ein Großteil der Familie konnte Deutschland bis 1939 verlassen. Max Saberskys Sohn Ernst überlebte die Nazizeit derweil in Deutschland – nicht so „unangetastet“, wie der Makler und SA-Mann Friedrich Gloatz später berichtete und wie noch heute manch Seehofer glaubt.
Fast zweieinhalb Jahre musste sich Ernst Sabersky in Ferch verstecken, ehe er im Juni 1945 in seine alte Berliner Wohnung am Breitenbachplatz einzog. Wie er tauchten rund 1400 Berliner Juden nach Kriegsende aus der Illegalität auf, verborgen von Freunden, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Dem damals 66-jährigen Ernst Sabersky und seiner 54-jährigen Ehefrau Katharina half „eine uns wohlmeinende Bekannte“, schrieb Sabersky 1946 in einem Lebenslauf, der einem Antrag zur Anerkennung rassistisch Verfolgter beiliegt. Unterlagen im Berliner Staatsarchiv werfen ein trauriges Licht auf das Antragsverfahren. Noch im Januar 1951 bedurfte es mehrerer Zeugen, die eidesstattlich versicherten, dass sich das Ehepaar tatsächlich illegal in Ferch aufgehalten hat. Da war Ernst Sabersky ein Jahr tot.
Eine der Zeugen: Margarethe von Hasselbach, die Berliner Bekannte, die das Ehepaar in ihrem Fercher Haus aufgenommen hatte. Sie und Oberschwester Behr bestätigten, dass für Saberskys keine Lebensmittelkarten bezogen wurden. Seit 1939 üblich waren 2400 Gramm Brot und 500 Gramm Fleisch pro Woche, Juden traf die Rationierung schlimmer. Wer verzichtete, musste gute Gründe haben, zumal die Ehe der Saberskys als privilegiert galt, im Nazijargon „arisch versippt“.
Die nichtjüdische Ehefrau Katharina hielt zu ihrem Mann, trotzdem erschien es den Beiden Anfang 1943 ratsam, sich zu verstecken, wie Ernst Sabersky schreibt: Seine Kinder aus erster Ehe lebten im feindlichen England – während Sohn Peter Deutschland 1933 verließ, entschied sich Tochter Jane 1937 dazu. Zuvor war die damals 24-Jährige von der Gestapo stundenlang verhört worden. „Da einige in dasselbe Verfahren verwickelte Freunde eines Nachts plötzlich verhaftet wurden und ich das gleiche für meine Tochter befürchtete, bestand ich darauf, dass sie Deutschland verließ.“
Bald wurde auch Ernst Sabersky zu Verhören vorgeladen. Anfeindungen war er schon kurz nach Hitlers Machtergreifung ausgesetzt. Als Rittmeister und Träger des Eisernen Kreuzes war Sabersky bei NS-Dienststellen dafür eingetreten, jüdische Kriegsinvaliden nicht in Konzentrationslager zu deportieren. Er hatte selbst bei der Vogesenschlacht 1914 seinen rechten Arm verloren, diente danach als Ingenieur (Abschluss an der Technischen Hochschule Berlin) im Generalgouvernement in Belgien. Seine Opferbereitschaft war schon bald nichts mehr wert.
Nach dem 1. Weltkrieg Vorstand der C. Lorenz AG in Tempelhof, wird er 1933 entlassen, weil er Jude ist. Die zugesicherte Pension wird um ein Drittel gekürzt. Die Entrechtung geht weiter: Kurz nach der Pogromnacht am 9. November 1938 wird Juden eine „Sühneleistung“ abverlangt. Sabersky erhält am 18. Januar 1939 vom Finanzamt Wilmersdorf den Bescheid zur „Judenvermögensabgabe“, 73 000 Reichsmark. Zwei Monate später muss seine Familie Seehof an die Stadt für 55 000 Reichsmark verkaufen, die Immobilie ist das Fünffache wert. Die Stadt zahlt nicht mal den vereinbarten Preis.
Auf fast eine Million beziffert Ernst Sabersky den Vermögensschaden in einem Entschädigungsantrag. Im August 1940 wird auch das Privatvermögen seiner „arischen“ Ehefrau beschlagnahmt. 1941 wird Sabersky verpflichtet den Davidstern zu tragen, darf seinen Wohnort nur mit polizeilicher Genehmigung verlassen. Als er 1943 nach Ferch geht, ignoriert er das. In der Fercher Chronik ist über diese Zeit zu lesen: „1942 bis 1945 suchten viele Berliner in Ferch Sicherheit vor den Bombardements und ließen sich hier nieder.“ Sabersky schreibt: „Es gelang mir dort, polizeilich nicht gemeldet unerkannt zu bleiben, bis Mitte 1943 anonyme Anzeigen die Aufmerksamkeit der Polizeibehörde auf mich lenkten.“ Zur gleichen Zeit erkrankte er.
Der Arzt Dr. Bröermann aus Caputh, der Sabersky behandelte, hielt den richtigen Namen des Patienten geheim. Fünf Monate konnte er unerkannt in der Klinik bleiben. Nach seiner Rückkehr nach Ferch suchte die Gestapo nach ihm. Amts- und Bürgermeisterwechsel verzögerten den eingeforderten Bericht, die ersten Flüchtlinge kamen und deutsche Truppen quartierten sich ein – schützendes Chaos.
Das Landgericht Berlin, das die Anerkennung der Saberskys als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung prüfte, lehnte 1958 ab. Der „verstorbene Ehemann der Antragstellerin“ habe „in der fraglichen Zeit (1943 bis 1945) nicht illegal gelebt, sondern lediglich teilweise den Judenstern in der Öffentlichkeit getragen“. „Ihre Behauptung, dass Sie mit Ihrem Ehemann in Ferch illegal gelebt haben, trifft somit nach Feststellung des Gerichts nicht zu“, wurde der Witwe mitgeteilt.
Kirsten Graulich
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