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Potsdam-Mittelmark: „ so lächeln die Vollendeten“

Siddhartha mit Gitarre: Ein ausgewogenes Erlebnis der Extraklasse in der Schinkelkirche

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Siddhartha mit Gitarre: Ein ausgewogenes Erlebnis der Extraklasse in der Schinkelkirche Von Gerold Paul Werder-Petzow. Die Literatur der Deutschen verdankt dem „Morgenland“ nicht die geringsten Werke. Goethe ließ sich dergestalt inspirieren, Schopenhauer und Rückert, später der zu Unrecht vergessene Dauthendey, und natürlich auch Hermann Hesse (1877-1962), welcher in der Hippie-Zeit ob seines „Steppenwolfes“ Urstände zu feiern hatte. Schön, dass man sich seiner jetzt wieder besinnt. Zwei exzellente Künstler taten es mit einer „Siddharta-Suite“ in der Schinkelkirche Petzow am Samstag auf ganz besondere Weise: Der in Potsdam wohnende, aber aus Göttingen stammende Schauspieler Jochen Könnecke hat seit längerem einen Faible für Programme, darin Wort und Musik sich mittelbarer verbinden als bei „musikalisch-literarischen Programmen“ der unabwendbaren Art. Mit Hesses zwischen 1919 und 1921 entstandenen Erzählungen des Brahmanenjungen Siddhartha greift er auf originelle Weise einen zeitlosen Stoff auf, die Erlösung des Menschen von seinen irdischen Leiden: Der Sohn eines Priesters durchläuft drei Bewusstseins- Phasen: Ohne wirkliche Befriedigung lernt er den überlieferten Stoff seiner Ahnen, dann stürzt er sich ins Liebes- und Sinnenleben, bis er erkennt, wie stumpf und tot ihn das macht. Behufs eines dritten Schrittes trennt er sich von seinem Ego und findet so auf neue Weise zu sich selbst, wie es sein sprechender Name verheißt: „Der sein Ziel gefunden hat". Die Silbe "OM" spielt für den Erleuchtungsakt die entscheidende Rolle, aber der Weg zu seinem Schöpfer Atman, hat freilich ein Leben gedauert. „Nicht mehr wissend, ob es Zeit gäbe“ verlässt ihn sein Gefährte Govinda mit tränenden Augen. Siddhartha aber lächelt jetzt das Lächeln der Weisen. Wie ein Buddha lächelt er. „Die seit Jünglingszeiten heilige und wahlverwandte Welt des indischen Geistes“ zu erfassen, gelang dem Calwer nur, indem er zwischen dem ersten und dem zweiten Teil pausierte, um „ein Stück aszetischen und meditierenden Lebens" nachzuholen. Auch in Petzow wurde genau an der Stelle Einhalt geboten. Man konnte sich die Beine vertreten oder die „winterwarmen“ Toskana-Bilder der Caputher Malerin Oda Schielicke betrachten, warme Getränke wurden bei nur 15 Grad Innentemperatur nicht gereicht. Jochen Könnecke las diese Dichtung in der vollbesetzten Kirche mit viel Durchblick und Gefühl als „work in progress“ gut, freilich in einem Gleichmaß, das weder dem Suchen des Protagonisten noch dem rezipierenden Bewusstsein der Zuhörer immer genügend entgegenkam. Man war ja nicht so geübt wie ein Brahmane. Trotzdem eine großartige Leistung. „Hat dieses Stück Atem, geht es ans Herz?“, fragt sich der hervorragende Gitarrist Johannes Tonio Kreusch bei jedem seiner Auftritte. Jochen Könneckes „Siddhartha“ erfüllt die strengen, in aller Welt geschulten Ansprüche des Müncheners offenbar vollkommen. Schon von klein auf an unkonventionelles und experimentelles Musizieren gewöhnt, gab er dem Text eine „Suite“ aus nie für möglich gehaltenen Tönen hinzu. Sphärische Klänge verschiedener Tempi mit unfassbar schnellen Griffen - mal die indische Sithar imitierend, mal mit spanisch-kubanischem Temperament - poetisch, klagend, zart, so wurde die spirituelle Verwandlung Siddharthas fühlsam. Ein unbeschreibliches und ausgewogenes Erlebnis der Extraklasse. Hesse wäre begeistert gewesen. So subtil war die Stimmung, dass auch das leiseste Geräusch in der Kirche störte. Indien ist zwar nicht die Erlösung, wohl aber ein Weg.

Gerold Paul

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