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Potsdam-Mittelmark: 105 Seiten Beschuldigungen

Nach der Wende geriet die ehrwürdige Hakeburg zur „Pleiteburg“ – ein buntes Anklage-Kaleidoskop beschäftigt nun das Gericht

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Nach der Wende geriet die ehrwürdige Hakeburg zur „Pleiteburg“ – ein buntes Anklage-Kaleidoskop beschäftigt nun das Gericht Von Peter Könnicke Kleinmachnow. Vor wenigen Tagen wurde sich auf der Kleinmachnower Hakeburg duelliert. Ein Konzertmeister und ein Solocellist trugen zum Sommerkonzert, zu dem jährlich vor die alt-ehrwürdige Residenz geladen wird, einen „musikalischen Disput“ aus. Bot die Hakeburg für das künstlerische Schauspiel lediglich die Kulisse, wird sie in einem anderen Streit einen ganz anderen Hintergrund darstellen. Der Großen Strafkammer des Potsdamer Landgerichtes liegt eine Anklageschrift in einem Umfang von 105 Seiten vor, die das Ergebnis dreijähriger Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dokumentieren. Betrug, Untreue, Konkursverschleppung, Beitragsvorenthaltung, das Führen falscher Titel – die Liste der Vorwürfe ist umfangreich. Die Angeklagten: Klaus W. Rösch, Dirk-Arnim Dietzel und Jürgen Schulz. Das Trio führte in den 90er Jahren maßgeblich die Geschicke auf dem einstigen Adelssitz der Familie von Hake, der nach dem Krieg als SED-Parteischule und Gästehaus für Staatsgäste wie Fidel Castro oder Yasser Arafat diente. Nach der Wende erlebte das Schloss die Gründung der märkischen SPD. Bis 1995 liefen das am Ufer des Machnower Sees in Prachtlage befindliche Restaurant und Gästehaus unter der Regie der Hakeburg GmbH. Diese hatte die edle Adresse von der „Fundament“ GmbH gepachtet, die eine vollständige Tochter der SED gewesen sein soll. Geschäftsführer war Werner Wienert, der zu DDR-Zeiten als Direktor im „Hotel am Jägertor“ und im „Schloss Cecilienhof“ dirigierte. Heute ist Wienert PDS-Kandidat für den Bürgermeister-Posten in der künftigen Großgemeinde Nuthetal und fachlicher Berater bei den Plänen des Geschäftsmanns Axel Hilpert, der am Schwielowsee ein Urlaubs-Resort im luxuriösen Stil bau will. 53 Einzelstraftaten 1995 trat die Deutsche Telekom AG die Rechtsnachfolge der einstigen Reichspost-Anstalt auf dem Kleinmachnower Seeberg inklusive der Hakeburg an. Für einen neuen Pachtvertrag habe sich die Telekom als „schwieriger Verhandlungspartner“ erwiesen, erinnert sich Wienert heute. Deshalb habe man sich zum Verkauf der Hakeburg GmbH entschlossen. Ein Käufer der Gesellschafteranteile fand sich mit einer luxemburgischen Firma. Als Person dahinter: Klaus W. Rösch. Er brachte die Mit-Angeklagten Dietzel und Schulz als Geschäftsführer auf den Seeberg und konstruierte aus der Hakeburg GmbH die Neue Hakeburg Hotelgesellschaft. Undurchsichtige Betreiberstrukturen, ein sich rasant drehendes Personalkarussell, ominöse Firmenadressen und unsolide Geschäftsgebahren waren der Beginn vom Ruin des guten Rufes der Hakeburg. Miss-Management und dubiose Geschäfte brachten sie zunehmend ins Zwielicht. Als im November 1998 die Immobilienverwalter der Telekom für die Neue Hakeburg Hotelgesellschaft die Gesamtvollstreckung beantragten, waren allein Pachtschulden im sechsstelligen Bereich aufgelaufen. Es ist nur die Spitze des Eisberges: 1999, die Potsdamer Staatsanwälte hatten längst mit den Ermittlungen begonnen, wurde nach damaligen Erkenntnissen der Betrugsschaden „auf wenigstens 1,4 Millionen Mark“ geschätzt. Die Opfer sind ehemalige Angestellte, für die weder Versicherungsleistungen und Lohnsteuern überwiesen wurden, Bauunternehmer und Sicherheitsdienste, deren Arbeiten nicht bezahlt wurden, Lieferanten, bei denen trotz des vermeintlichen Wissens der Geschäftsführer um die Zahlungsunfähigkeit umfangreiche Warenbestellungen eingingen. In einer groß angelegten Aktion durchsuchten Staatsanwälte, Kriminalisten und Wirtschaftsprüfer im März 1999 an neun verschiedenen Orten in mehreren Bundesländern Wohn- und Geschäftsräume der ins Visier geratenen „Hakeburg–Pleitiere“. Die aufwändige Auswertung des vielfältigen Beweismaterials mündete im Sommer 2001 in der Anklageerhebung am Landgericht. Allein Rösch werden 53 Einzelstraftaten vorgeworfen – neben Betrug und Insolvenzverschleppung auch das unerlaubte Führen eines akademischen Titels. Er sich soll missbräuchlich Doktor der Wirtschaft der University Prague genannt haben, zitiert Johann Baron von Osten-Sacken, Richter am Landgericht, aus der Anklageschrift. Auch die beiden Ex-Hakeburg-Manager Schulz und Dietzel sollen sich in mehreren Fällen des Betruges, der Konkursverschleppung und der Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen schuldig gemacht haben. Zudem hatte die Staatsanwaltschaft im Laufe ihrer Ermittlungen den nunmehr Angeklagten zur Last gelegt, zum Nachteil beider Gesellschaften Vermögen durch Privatentnahmen und Vermögenstransfers veruntreut zu haben. Pikanter Auszug aus der umfangreiche Anklage: Durch ein Pachtverhältnisses mit einer Gesellschaft, das monatlich mit 25 000 Mark dotiert war, sollten eine weitere Nutzung der inzwischen vom Volksmund als „Pleiteburg“ titulierten Hakeburg und eine gesicherte Einnahmequelle suggeriert werden. Hinter der Gesellschaft standen angeblich so namhaften Mitglieder wie der ehemalige Bundesgeneralstaatsanwalt Alexander von Stahl. In ihrer Anklage nennt die Staatsanwaltschaft den Pachtvertrag vorgetäuscht. Unbekannt scheint von Stahl die Hakeburg allerdings nicht zu sein. Der in Vorwendezeiten mit Hotelier Wienert abgeschlossene Pachtvertrag für das renommierte Gästehaus war von den Bundesbehörden geprüft und als rechtskräftig anerkannt worden – unter Regie von Bundesgeneralstaatsanwalt von Stahl, „dem die Hakeburg nicht unbedeutend war“, wie sich Wienert erinnert. Auch haben von Stahl und Ex-Hakeburg-Betreiber Rösch eines gemeinsam: ihre FDP-Mitgliedschaft. Als Liberaler brachte es Rösch 1980 zum Bundestagsmandat, drei Jahre später musste er das hohe Haus jedoch verlassen. Das Konstanzer Landgericht eröffnete ein Verfahren gegen Rösch und verurteilte ihn zu einer einjährigen Bewährungsstrafe – wegen Betrugs und Untreue. In 30 Anklagepunkten wurde der Schwabe allerdings freigesprochen. Auch im Hakeburg-Verfahren beteuert Rösch seine Unschuld. Als einstiger Hauptgesellschafter beschuldigt er seine beiden Geschäftsführer Dietzel und Schulz der Lügen und der Schlamperei. „Sie haben mein Misstrauen verbraucht“, klagte Rösch gegenüber den PNN etwa ein Jahr vor der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft. Dietzel und Schulz hätten ein „starkes Motiv“ für ihr Handeln. Schuldzuweisungen Auch Dietzel wies gegenüber den PNN alle vermeintliche Mitschuld an den skandalösen Zuständen auf der Hakeburg von sich und sah die „betrügerischen Machenschaften“ allein bei Rösch. Er gibt vor „die Wahrheit“ zu kennen: „Rösch ist mit fünf Millionen Mark auf und davon.“ Veranlasst zu der Schuldzuweisung sah sich Dietzel, als er Ende 1998 als Chef des „St. Franziskus“-Vereins im ehemaligen Jugendtourist-Hotel am Schwielowsee eine Begegnungsstätte für Bedürftige ins Leben rief. Ausbleibende Löhne, geprellte Lieferanten und unbezahlte Rechnungen ergaben unfreiwillig Parallelen zur Hakeburg und ließen das angebliche wohltätige Projekt zunehmend in zweifelhaftem Licht erscheinen. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs waren die Folge. Inzwischen hat das Jugendtourist-Hotel Platz gemacht für das von Axel Hilpert geplante Luxusresort am Schwielowsee. Die Wahrheit zu finden, ist nun Aufgabe der Großen Strafkammer. „Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist beschlossen“, verkündet Gerichtssprecher Osten-Sacken. Einen Antrag des Hauptbeschuldigten Rösch, das Verfahren aus gesundheitlichen Gründen einzustellen, lehnte die Kammer ab. Einen Termin für den Auftakt des Prozesses, den drei Berufsrichter und zwei Schöffen leiten werden, gibt es noch nicht, der Umfang der Anschuldigungen und die Vielzahl der Zeugen verlangen „reichlich Vorbereitung“, so Richter Osten-Sacken. Derweil wird auf der Hakeburg wieder andere Musik gespielt. Zwar hat das Haus noch immer nicht seine Bestimmung gefunden. Doch zum letzten Sommerkonzert des Jahres klingt es am kommenden Sonntag harmonisch nach Mozart.

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