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Potsdam-Mittelmark: 750 wechselvolle Jahre

Harken, fegen und neu bauen zum Ortsjubiläum putzen sich das alte und das neue Güterfelde heraus

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Stahnsdorf - Die Nierensteine drücken, die Muskeln schmerzen, aber Jürgen Ihlenburg kann es nicht lassen. „Die Landwirtschaft ist eine Sucht“, sagt der 60-jährige Bauer – der letzte in seinem Dorf. Den Traumberuf an den Nagel hängen? Solange ein Bauer seinen Pflug auf den Acker bekommt, bleibt er Bauer, sagt Ihlenburg mit fester Stimme. Auf neue Kollegen kann der Landwirt in seinem Dorf indes nicht hoffen.

Güterfelde ist im Wandel. An diesem Wochenende feiert der Stahnsdorfer Ortsteil sein 750-jähriges Jubiläum. Wo heute tausend Lkws und Autos täglich um die Dorfkirche kreisen – weil die Ortsumgehung erst im Herbst eröffnet wird – lebten einst in jedem zweiten Haus Bauern und Landwirte. Viel ist vom dörflichen Leben nicht geblieben. Fast alle Tiere sind verschwunden, mit ihnen viele Handwerker und Geschäfte. Stattdessen kamen junge Familien. Die Lage des Ortes an der neuen Landesstraße 40, die Potsdam mit dem Flughafen Schönefeld verbindet, ist attraktiv. 1967 Einwohner zählt der Ortsteil, Tendenz steigend. Nur wenige Autominuten von Berlin entfernt entsteht ein buntes Einfamilienhaus neben dem anderen. Es gibt einen Badesee, einen Kindergarten, in dem selbst gekocht wird, und ein fast fertig restauriertes Schloss, von Besuchern bestaunt.

„Ich habe die Landwirtschaft sprichwörtlich noch mit der Muttermilch bekommen“, sagt Bauer Ihlenburg. Aber wer wird heute in Güterfelde schon noch so großgezogen? 500 Jahre reiche die Geschichte seiner Familie als Landwirte im Ort zurück. Wie schon seine Ahnen zieht Ihlenburg Rinder groß, Zwergzebus, um genau zu sein. Er kauft die Kälber, mästet sie mit dem Gras von Güterfeldes Feldern, um die Tiere anschließend zu verkaufen. Ein Geschäft, von dem sich leben lässt, sagt Ihlenburg. Aber wer weiß, ob es beim nächsten runden Ortsjubiläum noch einen Bauern im Ort geben wird?

Auch Edith Taschek betrachtet das Treiben auf den neuen Baustellen im Ort mit Skepsis. Mit Hacke und Heckenschere bringen die 72-Jährige, ihr Mann Horst und Wolfgang Ihlefeldt das Grün vor Ihlefeldts Fernseh-Geschäft in Ordnung. Hier wird am Wochenende das Festzelt stehen. Die Ihlefeldts seien sehr gute Freunde, sagt Taschek. Vor so einem Ortsjubiläum komme sie gern in ihre alte Heimat zurück, um anzupacken, sagt die Kleinmachnowerin. „Ich habe wunderschöne Erinnerungen an Güterfelde.“ Ihlefeldts Mutter habe ihr hier einst das Lesen beigebracht, ihre eigenen Eltern hätten im Ort ein Kolonialwarengeschäft betrieben. „Von Holzpantinen bis zum Taschentuch gab es alles“, sagt Taschek.

Das Geschäft gibt es aber schon lange nicht mehr. Wie viele anderen auch. Zwei Bäcker, zwei Fleischer, ein Schuhmacher, ein paar Läden und auch zwei Gaststätten. Der 79-jährige Wolfgang Ihlefeldt kann sich noch gut an das alte Gütergotz erinnern. So hieß das Dorf, bis es sich die Soldaten der SA zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges nicht nur im Güterfelder Schloss gut gehen ließen, sondern 1937 auch den Ort umbenannten. „Ich bin Gütergotzer, eine Hausgeburt“, sagt Ihlefeldt. Dort, wo sein Sohn bis heute Fernseher verkauft, unterhielten seine Eltern einst eine Gaststätte. Heimlich habe er als Jugendlicher dort Zigaretten mitgehen lassen. Bis in die 50er-Jahre hinein existierte die Gaststätte, erst im Jahr 1972 eröffnete das TV-Geschäft. Fast jeden Fernseher der Region habe der Mechaniker zu DDR-Zeiten in der Hand gehabt, wenn die Dinger nicht wollten. „Noch heute leben wir von unserem Bekanntheitsgrad“, sagt Ihlefeldt. Seine Sohn führt die Geschäfte weiter und könne sich mit gutem Service gegen die Konkurrenz der großen Märkte wehren.

Bekannt wie kaum ein anderer im Ort ist auch Dietrich Huckshold. Seit 1991 führt der 73-Jährige die Geschicke Güterfeldes. Erst als Bürgermeister und dann als Ortsvorsteher, nachdem das Dorf 1993 eingemeindet wurde. Hucksholds Eltern betrieben einst das zweite Gasthaus im Ort. Das Haus gehört heute seinem Sohn Kai. Den Tanzsaal halte der noch immer frei, sagt Huckshold. Sein größter Wunsch sei, dass das Gasthaus wieder eröffne. „Wir brauchen einen Ort, der Alteingesessene und Zugezogene zusammenführt.“ Mit Sorge sehe er, dass sich Alt und Neu viel zu selten über den Weg laufen. „Wir hoffen jetzt, dass möglichst viele von ihnen zum Fest kommen.“

Auch Ihlenburg will seinen Hof öffnen. Der Bauer und seine Zwergzebus freuen sich auf Besuch. Vielleicht sei ja ein neuer Landwirt dabei, hofft Ihlenburg. Denn irgendwann wird er seinen Pflug nicht mehr auf den Acker schaffen können. Aber das ist hoffentlich noch lange hin.

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