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Potsdam-Mittelmark: „Aber nicht mit uns!“

Die Michendorfer Ortsumgehung soll auch über privates Land führen. Detlef Grunow wehrt sich, das Familienerbe zu verkaufen

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Die Michendorfer Ortsumgehung soll auch über privates Land führen. Detlef Grunow wehrt sich, das Familienerbe zu verkaufen Von Peter Könnicke Die Hollywoodschaukel steht nackt und eisern hinter dem Haus. Der graue November hat dem Garten die letzte Farbe geraubt. Und über dem Feld hinter dem Grundstück steht silbriger Nebel. Früher hat sich Detelf Grunow in dieser Zeit vielleicht Gedanken gemacht, welche Blumensamen im nächsten Frühjahr in die Erde sollen. Oder wo welches Gemüsebeet angelegt wird. In diesem Winter wird er sich fragen, wozu das Grundstück und das Haus, das sein Großvater vor 70 Jahren gebaut hat, „überhaupt noch zu gebrauchen sind“. Er wird sich fragen, ob im nächsten Jahr das Ackerland hinter dem Haus noch ihm gehören wird. Grunow wohnt in Langerwisch, in der Straße des Friedens. Doch Frieden herrscht schon lange nicht mehr, seit geplant ist, eine Ortsumgehungsstraße durch Wälder, über Wiesen, Äcker und über 50 Privatgrundstücke zu führen. Die Region ist zweigeteilt in Gegner und Befürworter der Straße. Auch Grunows Land wird gebraucht für die Asphalttrasse, die von der Autobahn kommende Autos um den Nachbarort herumführen soll. Dort, in Michendorf, freut man sich auf die Ortsumgehung. Offiziell soll die Straße zweispurig werden. Doch das Misstrauen, dass es am Ende nicht vier Spuren werden, hat sich eingenistet zwischen die vielen Begriffe wie Planfeststellung, Linienbestimmung und Umweltverträglichkeit, die viele in Langerwisch längst aus dem Eff-Eff definieren können. Der Argwohn ist hier Dauergast: Informationen könnten falsch, Unterschriftensammlungen manipuliert und eigene Einwände frisiert sein. Noch existiert die Straße nicht, doch hat sie schon mehr entzweit als verbunden. Von Grunows Haustür sind es ein paar Schritte durch den Vorgarten bis zur Straße. Wer aus Michendorf kommt oder dorthin will, fährt auf der Straße des Friedens an seinem Haus vorbei. Künftig sollen rechts neben dem Haus, wo heute Grunows Garage steht, täglich 16 000 Fahrzeuge vorbeirauschen. Sie werden hinter dem Gartenzaun über den Acker in den Wald rasen, wo in den vergangenen beiden Wochen Motorsägen eine breite Schneise hineingefressen haben, die deutlich verkündet: Bald wird Grunow mit Frau und Tochter sowie seiner Mutter an einer Kreuzung leben. Dass er und seine Verwandtschaft dafür das Familienerbe hergeben sollen, erscheint ihm wie die mieseste Passage in einem schlechten Drehbuch. Doch mit jedem gefallenen Baum rückte in den letzten Tagen der unheilvolle Gedanke näher, demnächst zwangsenteignet zu werden. Belästigendes Klingeln Das erste Schreiben des Straßenbauamtes hat Grunow im Juni 1997 bekommen. Es war mit „Vorarbeiten auf Ihrem Grundstück“ überschrieben. Zur „Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im Interesse der Allgemeinheit“ seien Grundstückseigentümer verpflichtet, die Arbeiten zu dulden. Wie Grunow weiter lesen konnte, werden „etwaige unmittelbare Vermögensnachteile entschädigt“. Seitdem klingelten Vertreter diverser Firmen an Grunows Tür, um ihm sein Land abzuschwatzen und um eine Entschädigung zu verhandeln. Grunow hat alle vom Hof gejagt und sich jegliche „Belästigung“ verbeten. „Inzwischen ist es die dritte Firma, die versucht, auf plumpeste Art und Weise an anderer Leute Grundstück zu gelangen“, bilanziert er. „Aber nicht mit uns!“ Grunow steht nicht allein. Von den 50 privaten Eigentümern, deren Grundstücke für die Ortsumgehungsstraße gebraucht werden, sind zwölf vor Gericht gezogen. Wie Renate und Eckhard Holz, deren eigenes Waldgrundstück der Straße im Weg ist. „Der Staat soll entsprechend seiner gesetzlichen Regelungen zuerst auf seine Ressourcen zurückgreifen und nicht zu 80 Prozent das Eigentum seiner Bürger wegnehmen“, schimpft Holz. Und, das sagen viele: „Es gibt Varianten, wo die Straße zu über 80 Prozent über staatseigenes Gebiet verlaufen könnte. Das negiert man einfach.“ Der Plan einer Ortsumgehungsstraße hängt schon lange wie eine dunkle Wolke über Langerwisch. Bereits vor zehn Jahren wurde das künftige Straßenbauland zur Vorbehaltsfläche. Die Hälfte eines Bebauungsplans für Wohnhäuser wurde von den zuständigen Baubehörden in weiter Voraussicht erst gar nicht genehmigt. Auch durch Holz“ Waldstück zogen die Planer am Reißbrett eine schwarze Linie – fast zeitgleich pflanzte Familie Holz auf zwei Hektar junge Eichen. Jetzt, da der Straßenbau unaufhaltsam scheint, füllt sich der Wald mit Erinnerungen und Emotionen. „Mein Großvater würde sich im Grab umdrehen“, trauert Renate Holz, „er hat die Bäume mit seinen eigenen Händen gepflanzt.“ Auch Rosemarie und Martin Rahn haben Wald geerbt. Auch dieses Stück Land soll unter Asphalt. Mit jedem Axthieb würde ein Stück Erinnerung verletzt werden. „Im Winter haben wir hier unser Holz geholt“, sagt Rosemarie Rahn. Als durch einen Sturm viele Bäume beschädigt wurden, „haben wir den Wald wieder aufgeforstet“. Etwa 2500 Einsprüche im Planfeststellungsverfahren änderten nichts daran, dass in diesem Frühjahr die Ortsumgehungsstraße für baureif erklärt wurde. Für die vom Land beauftragten Berliner Makler war es Zeit für weitere Versuche, die Gegenwehr der widerspenstigen Grundstücksbesitzer zu brechen. Für den Wald der Familie Rahn haben sie ein „angemessenes Entschädigungsangebot“ unterbreitet: 86,70 Euro für die 289 Quadratmeter. Die zweijährige Nutzung weiterer 500 Quadratmeter Wald während der Bauarbeiten soll pro Jahr mit 7,44 Euro entschädigt werden. Besser nicht fragen Detlef Grunow hat sich nie erkundigt, wie hoch eine Entschädigung für das Eigentum seiner Familie ausfallen würde. „Das würde gleich als Verkaufsbereitschaft gewertet“, befürchtet er. Schriftliche Anfragen von Vermessungsfirmen um eine Vollmacht zum Betreten seines Grundstücks „wandern gleich in den Papierkorb“. Den Berliner Unterhändlern hat er geschrieben, dass sie sich „ins Unrecht setzen“, sobald sie seiner Familie mit Enteignung drohen. Denn die ganze Umgehungsstraße sei ein einziger planungsrechtlicher Irrtum, weshalb nicht nur etliche Erbengemeinschaften und einzelne Grundstückseigentümer Klage erhoben haben: Auch die Gemeinden Langerwisch und Wilhelmshorst, die von der Ortsumgehung geschnitten werden, sind vor Gericht gezogen. Die Prozessakte liegt noch aufgeschlagen beim Bundesverwaltungsgericht. Allerdings bereiten die jüngsten Signale aus Leipzig den Klagenden wenig Grund zur Freude. Im Oktober entschieden die Richter, dass es keinen Grund für die Forderung gibt, die Baumfällungen als Baubeginn für die Straße aufzuschieben. Zudem haben sie angedeutet, dass eine Klage gegen die vermeintlich fehlerhafte Planung der Straße „voraussichtlich keinen Erfolg haben wird“. Für Grunow ist das kein Grund weich zu werden. „Viele Punkte unserer Klage sind noch nicht geklärt, weil sie erst im Hauptverfahren zur Sprache kommen.“ Es gebe genügend Beispiele, sekundiert Eckhard Holz, „wo Straßenbauämter Millionen in den Sand gesetzt haben“. Solch eine Bauruine könne es hier auch sehr schnell geben. Ein zu hoher Einsatz Die Straßenbauer hatten es da eiliger. Wenige Wochen nach dem Richterspruch organisierten sie ein 30-köpfiges Polizeiaufgebot zum Schutz gegen Demonstranten und ließen im Wald zwischen Wilhelmshorst und Langerwisch die Kreissägen aufjaulen. Fast zeitgleich klingelten die Grundstücksmakler an Grunows Haus: Es sei doch nun endlich an der Zeit, aufzugeben und sich zum Verkauf zu entschließen. Zornig erinnerte Grunow die Immobilienfirma daran, dass er jeden Kontakt zu seiner Familie untersagt habe. Mit Geld ist Grunows Widerstand nicht zu brechen. „Mein Vater ist in dem Haus geboren. Mein Bruder. Und ich auch“, sagt er. Früher haben sie in dem Garten reiche Ernten an Johannis- und Himbeeren eingefahren. Auf dem Acker dahinter überlegt Grunow, ein Spargelfeld anzulegen, „was eine Knochenarbeit ist“. Im Haus haben sie das Bad neu gemacht, die Fenster sind neu und „den Dachboden haben wir ausgebaut“, erzählt Grunows Frau, die sich inzwischen auf jeden Arbeitstag freut, weil es ablenkt von den Sorgen. Jetzt, da der Straßenbau losgeht und Grunows eine Bauerlaubnis auf ihrem Grundstück nicht erlauben werden, droht die Enteignung. Der 18. Paragraf des Fernstraßengesetzes erlaubt es, dass die für die Straße benötigten Flurstücke zunächst in den Besitz des Bundes eingewiesen werden. „Das gibt uns das Recht, bis zur abschließenden Einigung auf dem Grundstück zu bauen“, sagt Lothar Wiegand. Der Sprecher des Verkehrsministerium kennt solche Fälle. Meist sei es eine Pokerpartie. Doch für Grunow ist es kein Spiel, der Einsatz ist viel zu hoch. Grunow hat mehr zu verlieren als zu gewinnen.

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