KulTOUR: Ähnliche Brillengestelle Wie Hanns Eisler in London John Lennon traf
Kleinmachnow - Anfang1962 reiste der Komponist Hanns Eisler zur britischen Erstaufführung seiner „Deutschen Symphonie“ nach London. Dort erlebte er Monate vor seinem Tod nicht nur selig-machende Verehrung, wie sein Sohn Georg berichtete.
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Kleinmachnow - Anfang1962 reiste der Komponist Hanns Eisler zur britischen Erstaufführung seiner „Deutschen Symphonie“ nach London. Dort erlebte er Monate vor seinem Tod nicht nur selig-machende Verehrung, wie sein Sohn Georg berichtete. Er traf sich, wenig bekannt, in einem Pub auch mit dem 21-jährigen John Lennon. Der Potsdamer Musikwissenschaftler Thomas Freitag entdeckte den Tonband-Mitschnitt dieser „unglaublichen Unterhaltung“ 1994 während einer Studienreise durch die USA.
Kurzentschlossen, autorisierten ihn die Besitzer dieses einmaligen Dokuments zur Transskription und Veröffentlichung, was bald darauf unter dem Titel „Das Neue, so merkwürdig“ geschah. Kürzlich wurde das Buch im Kleinmachnower Rathaus vorgestellt. Der Hörerkreis war weder groß noch ausgesprochen jugendlich, doch als Thomas Freitag ein bisschen Musik von Tony Sheridan („My Bonny“) auflegte, da zuckte es dem einen und anderen doch wieder in den Knochen, genau wie damals, als der Rock ’n’ Roll schon per se „die Revolution“ war.
Letztlich hatten sich da wohl zwei linkslastige Seelenverwandte getroffen, mit ähnlichen Brillengestellen, beide ziemliche Raucher, jeder mit extradicker Akte beim FBI. Man könnte auch sagen, die erste und die zweite Generation der langen Revolution; heute ist man da weiter. Aber natürlich geht es bei solchen „Gesprächen“, deren Umfang so uferlos gar nicht ist, um den Austausch, um Themen wie „Künstler und Gesellschaft“, „Musik und Revolution“, und so weiter!
Eigenes und Fremdes – Kongruenzen und Differenzen: Beide haben sich zu ihrer Zeit und auf ihre Weise „um die Straße bemüht“, wobei der Schönberg-Schüler sich stramm an die Ästhetik von Marschliedern und Arbeiterchören hielt, Lennon hingegen mehr von Skiffle und Mersey-Beat in der Tradition des Rock ’n’ Roll hielt.
Klar hört einer dem anderen zu, wenn Kriegserlebnisse ausgetauscht werden, Eisler im Ersten Weltkrieg, Lennon mit Mutter auf der Flucht vor deutschen Bomben aus Liverpool. Trotzdem konnte der alte Mann weder den plötzlichen „Gitarrenkult“ verstehen, noch die deutliche Ekstatisierung der Jugend, gegen die er als gestandener Rationalist so einiges hatte. Er war einfach eine Generation zurück.
Auch die „Elvis-Verklärung“ wies er von sich, er träumte davon, eines Tages „etwas Besseres“ als die damalige „U-Musik“ auf den Tisch legen zu können. Trotzdem wusste der Pass-Österreicher genau, was im „Star Club“ der Reeperbahn gespielt wurde. Und so wollte er sich um die Veröffentlichung des jungen Beat – und auch um Konzerteinladungen bemühen. Das wäre natürlich ein Ding gewesen, die frühen Beatles in Ost-Berlin!
Der junge John sah vieles anders als „das Musikfossil“, wie Eisler sich selbst nannte. Auch er suchte die „Authentizität der Straße“. Er wollte das Lebensgefühl der Jugend beeinflussen. Dafür verstand der „politischste aller Beatles“ weder den Mauerbau noch die Wiederbewaffnung Deutschlands. Lennon vertrat Positionen wie „Vorbildwirkung, ungebremste Novität“, bejahte auch die Ekstase, trotz aller Erfahrung bei den Beatles-Konzerten. Den stark ideologisierten Lennon, wie bei „Imagine“ zu hören, schuf sich erst Yoko Ono.
Der alte Hanns starb 1962, der junge John im Dezember 1980. 2012 jährt sich also ein Todestag zum fünfzigsten Mal, das andere Jubiläum hieße „50 Jahre Beatles in Hamburg“.
Thomas Freitag, „Das Neue, so merkwürdig...“ Hanns Eisler, John Lennon. Die Gespräche, Verlag Neues Leben
gerold Paul
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