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KulTOUR: Aktuelles märchenhaft

Die Comédie Soleil hat Aki Kaurismäkis „Le Havre“ allzu rührselig für die Bühne adaptiert

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Werder (Havel) - Ob zeitlos oder aktuell – das Theater muss gerüstet und gewappnet sein. Die Werderaner Comédie Soleil hat das seit Michael Klemms Zeit – er hob diese Bühne einst aus der Taufe – immer wieder versucht. Seine Nachfolger tun es ihm mit „Le Havre, ein Flüchtlingsmärchen“ nun nach. Das Thema verweist auf Aktualität, das Märchenhafte indes will sagen, dass da noch etwas anders ist.

Kürzlich hatte das Episodenstück vor fast vollem Haus Premiere. Schöpfer des Sujets war der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki, der sich in einem Interview auf dem Programmzettel selbst als Kommunist bezeichnet. Julian Tyrasa, neben Karoline Hugler Co-Betreiber der Comédie, schuf dazu eine Bühnenfassung, und inszenierte selbst.

Nun ist hier die Erwähnung eines kommunistischen Urhebers nicht unwichtig, einmal, weil sich diese Leute ja immer Dinge ausdenken, die es nicht gibt. Zum anderen, weil Kaurismäki seinen Protagonisten – einst Bohemien in Paris, dann aus Liebe zum einfachen Volk freiwillig Schuhputzer in Le Havre – voller Absicht Marcel Marx genannt hat.

Entsprechend die rührselige Bühnenstory: Nordafrikanische Flüchtlinge werden am Hafen in Containern gehalten, streng von der Polizei bewacht. Dem 14-jährigen Idrissa (Besim Veli) gelingt die Flucht, Marx (Uwe Poppe) versteckt ihn zu Hause. Offiziell wird nun behauptet, der Junge hätte mit Al Kaida zu tun, also Fahndung. Just zur gleichen Zeit erkrankt Marxens Frau Arletty unheilbar.

Wie Frank Dukowski und Gerhard Gutberlet, so hat auch Karoline Hugler mehrere Rollen zu spielen, neben Arletty auch Barbesitzerin Yvette, die unsterblich in Marcel Marx verknallt ist. Kommissar Monet (Frank Dukowski) ist beauftragt, den Jungen dingfest zu machen, was ein Denunziant tatkräftig unterstützt. Zuletzt gelingt Idrissa natürlich die Flucht nach London, völlig klar.

Eine hübsch ausgedachte Geschichte also voller Solidarität und Herzensmenschlichkeit, wie es sie immer gab und geben wird. Man sollte nur nicht gleich verallgemeinern. Leute helfen einander, besonders wenn es gegen die Staatsmacht geht; bisher war das jedenfalls so. Doch ein beamteter Kommissar, der die Seite wechselt? Die gutgemeinte Inszenierung ist löchrig wie ein alter Käse.

Eine Off-Bühne mit Bar-Tresen und Bretterverschlag, Szenen von extremer Kürze, stehende Bilder statt Bewegungstheater, kaum Handlungsmotive bei den Figuren, schleppende Tempi, eine mechanisch-dröge Sprache zu Beginn, wenig Emotion, selbst am Sterbebett von Arletty gibt es kein Berühren, Streicheln, Küssen des künftigen Witwers – man konnte es schon besser in der Comédie. Um Profil bemüht sich Gerhard Gutberet als Krauter und Denunziant, auch Frank Dukowski hier und da. Seinem Kommissar hat man das märchenhafte Finale zu verdanken. Die anderen Darsteller sind einfach nur da. Wäre auf dem Weg vom Bohemien zum Schuhputzer nicht viel Figur zu erzählen gewesen?

Auch Besim Veli braucht viel mehr Regie, zumal für ihn ja draußen „ein böser Wind“ geht. So bleibt vieles mehr schleier- als märchenhaft. Wenn man dennoch applaudierte, war es wohl eher dem akuten Flüchtlingsthema als dieser Inszenierung geschuldet – ungeachtet dessen, dass inzwischen jeder Ankömmling als ein solcher gilt, und dass auch eine Bühne Rechte einzufordern hat. Und doch, wie heißt es bei Immanuel Kant: Nichts ist gut, als allein ein guter Wille! Gerold Paul

nächste Vorstellungen am 23. April um 19.30 und 24. April um 17 Uhr, Eisenbahnstraße 210.

Gerold Paul

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