zum Hauptinhalt
Seltsame Gebilde. „Growth“ von Michael Wagner.

© Kunst-Geschoss

KulTOUR: Alles „Made in Werder“

Keramische Werkstätten stellen ihre „Erdewerke“ im Kunst-Geschoss aus

Stand:

Werder (Havel) - Die Esoterischen kennen natürlich den Spruch aus der Smaragdenen Tafel, wonach „Oben gleich wie Unten“ sei. Er stammt vom „dreimalgroßen Hermes“, nach dem man derzeit am Fuß der ägyptischen Sphinx mit unauffälligem Eifer sucht. Wie es Frank W. Weber mit besagtem „Hermes Trismegistos“ hält, dem Verfasser der Smaragdtafeln, ist nicht so bekannt, aber sein erstes Ausstellungsdoppel 2014 in der Werderschen Stadtgalerie hat vielleicht ein klein wenig vom heimlichen Geist des Gesuchten.

„Erdewerke“ ganz oben im Schützenhaus stellt die Keramischen Werkstätten Glindow mit Namen und Werken vor. Eine Etage weiter unten präsentiert Anita Reinsch in der „Galerie am Glas“ höchst eindrucksvolle Natur-Fotos, die sie mit einem Raster-Elektronenmikroskop aufgenommen und nachträglich per Computer koloriert hat. Da tun sich Schöpfungswelten auf, niemals gesehen, nie geahnt! Zum Beispiel das heimliche Innenleben einer Rapsblüte, wie ein Kaiman geformt, oder im Farnblatt ein Ding mit zwei Hälsen und Gruselköpfen, oder die Spaltöffnung eines Pappelblattes, die sieht aus wie der Kopf von Quasimodo im Film. Wirklich monsterhaft!

Was sich auf dem Hauptschauplatz des Schützenhauses, dem Kunst-Geschoss, tut, erscheint wie eine Korrespondenz zur Fotogalerie darunter. Korrespondenzen herstellen, das kann der Kurator Weber als Aktionskünstler ja. Fünf junge Leute, allesamt Absolventen einer kunsthandwerklichen Fachschule in Rheinland-Pfalz, haben es sich seit Sommer 2012 zur Aufgabe gemacht, die alte Glindower Wassermühle für ihr Dableiben zu restaurieren. Das ganze Gehöft muss dafür von oben bis unten erneuert werden. Was neben dieser Arbeit in den zwei Jahren an Künstlerischem entstanden ist, zeigt die neue Ausstellung auf eindrucksvolle Weise.

Gleich neben dem Eingang hängen in alte Fensterrahmen montierte Fotos vom Stand der Dinge am Bau, wie es war, und wie es wurde. Der Ausstellungsraum selbst ist grellweiß gehalten und ideenhaft ganz auf den Glindower Ziegel gestellt. Er erinnert an ein antikes Grabungsfeld. In der Mitte hängt ein röhrenartiges Ding an starken Seilen, gemustert wie eine fossile Kalk- oder Kieselalge. Martin Grade hat es unter dem Namen „feint“, also Finte, Täuschung, erdacht und gebaut. Brennen kann man solch große Sachen vor Ort. Von ihm sind auch die muschelartigen Dinger am Boden, neben Ziegeln drapiert, die man auch Tegel nennt. Auch sie scheinen aus Ur- und Vorzeiten zu stammen. Über die seltsamen Gebilde von Michael Wagner aber kann man sich wundern. Oder man sinnt darüber nach, was einem diese ein- oder ausgestülpten „Wand-Haftlige“ in ihrer matten Farbigkeit wohl zu sagen haben. Schön urig sind sie, diese naturnahen Abstrakta, nur eine Frage der Zeit, wann das E-Mikroskop ihre Pendants im Kleinen findet!

Claudia Winter und Julia Winter sind zwar nicht verwandt, wohl aber eines Geistes, so es um das Entwerfen von Tafel- und Ziergeschirr geht. Fast so dünn wie China-Porzellan findet man Vasen und Teller, auf filigranste Weise mit Blumenmotiven geschmückt. „Umdrucktechnik auf Steinzeug“ heißt der Fachbegriff. Sonnenblumen, fein stilisierte Dolden, Mohnblumen sind die Favoriten, das wächst ja alles auch vor Ort.

Auch Julia Grade bedient sich für ihre klassischen Gefäß-Skulpturen dieser Technik, nur geht sie ins Material hinein, schafft lebhaft-archaische Oberflächenstrukturen. Viel Schönes.

Dass die fünfköpfige Werkgruppe dabei nicht nur Glindower Ton verarbeitet, versteht sich genauso wie der Männer Hang zum Urgrund. Die Damen hingegen neigen, wie immer, mehr zur Verfeinerung. Natürlich ist im Kunstgeschoss noch sehr viel mehr zu bestaunen, umgestürzte Rundkegel ohne Boden, graue und weiße Formungen, die schichtweise aufeinander ruhen, schief und verbogen, zu einem Gesamtcorpus gefügte Konusse nach Art der Amöben, Anzuwendendes und völlig zweckfreie Dinge, alles mit viel Geschick arrangiert. Fehlt nur noch ein bissel Grün zwischendrin.

Dreimalgroßer Hermes, was für eine kompakte Werkschau, was für Talente! Und alles mit dem Copyright „Made in Werder“, denn Glindow muss der Kultur- und Inselstadt ja zugehören. Eine Ausstellung also wie eine Wucht, mit bannig viel Korrespondenz, und dem Wunsch, dass dies „Erdewerk“ nicht allein die Natur bereitet, sondern auch das verlorene und vergessene „Oben“ wieder zurückbringt.

Gerold Paul

bis 23. März jeweils Do., Sa. und So. von 13 bis 18 Uhr, Uferstraße 10

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })