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DasWAR“S: Alltag am Midtfjellet

Wie Peter Könnicke vergeblich auf der Flucht war

Stand:

Vor ein paar Tagen bekam ich einen Anruf der Elternsprecherin einer Kleinmachnower Kita. Es ging um die Verkehrspläne für den Seeberg und die miserable Aussicht, dass bald massenhaft Autos an der Kita vorbeifahren werden. Das klingt unangenehm, aber erstmal hatte ich Urlaub. Nichts sehen, nichts hören, nichts denken.

Warum ich meinte, dass dies mir ausgerechnet beim Skilaufen gelingen soll, ist mir noch immer ein Rätsel. Am vorigen Samstag bin ich meinen ersten Ski-Marathon gelaufen. 54 Kilometer von Rena nach Lillehammer: das legendäre Birkebeiner-Rennen. Vor 800 Jahren retteten zwei Krieger den Königssohn Håkon, indem sie den Knaben über eine Passhöhe in Sicherheit brachten. Deshalb muss man heute bei dem Birkebeiner-Rennen einen 3,5 Kilogramm schweren Rucksack mitschleppen. Als ob die Gleichgewichtssuche auf zwei schmalen Brettern nicht schon schwer genug wäre. Ich hatte die Illusion, die Tour auch ohne große Vorbereitung zu schaffen. Ehrlich gesagt bestand mein Training darin, Biathlon bei Olympia zu gucken.

Es fing gut an. Ich zwang mich zu einem ruhigen Tempo, was nicht schwer war, weil ich ohnehin nicht schneller konnte. Schon nach einem Kilometer standen hunderte Skiläufer am Rand und wachsten nach. „Ah, verwachst“, grinste ich. Nach drei Kilometern schlidderte ich an den Rand und fragte eine Norwegerin, ob sie mir etwas von der violetten Paste, die sie gerade auf ihre Bretter schmierte, abgeben würde. Ich kleisterte mir das Zeug auf die Skier. Es wirkte. Fortan klebte alles an meinen Brettern: Getränkebecher, Bananenschalen, Kekse.

Den 15 Kilometer langen Anstieg schaffte ich in drei Stunden. Die etwa 10 000 Läufer hatten von einer sauberen Spur nichts mehr übrig gelassen. Ich rutschte prima nach links und rechts und rückwärts, vorwärts kam ich allerdings nur mit viel Mühe. Bei der Hälfte zückte ich meine Geheimwaffe: Ich drückte mir ein ekeliges Koffein-Gel in den Mund, in der Hoffnung auf einen Schub. Es schob nichts. Bei Kilometer 35 standen zwei Norweger mitten auf der Strecke und stopften den Läufern einen Löffel Traubenzucker in den Mund. Ich stellte mir vor, wie Tausende vor mir auf den Löffel gesabbert hatten, dachte kurz an Vogelgrippe und ließ mir willenlos das Pulver in die Gusche schieben. Auf der Abfahrt ins Ziel schoss eine ältere Dame an mir vorbei. Die blanke Demütigung. „Oma, geh stricken!“, fauchte ich grimmig. Als ich ins Ziel taumelte, was es dunkel. Einsam piepte der Zeitmesser, doch immerhin spürte ich einen leichten Ausstoß von Glückshormonen.

Was ist der Seeberg schon gegen den fast 1000 Meter hohen Midtfjellet bei Kilometer 33? Doch hatte mich da – ohne es zu bemerken – der Alltag bereits eingeholt. Am Dienstag bekam ich eine Mail der Kita-Mutti. Sie habe mich zufällig beim Birkebeiner gesehen. Ungläubig prüfte ich die Ergebnisliste: Sie war eine halbe Stunde vor mir im Ziel.

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