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KulTOUR: Als hätte es 1945 nie gegeben

Robert Menasse in Kleinmachnow gelesen

Kleinmachnow - Mit Jazzklängen, Getränken und Brot vor der Auferstehungskirche Kleinmachnow erwartete der Trägerverein Kulturhaus Kammerspiele am Samstag seine Gäste. Intellektuelle Feinkost soll bis zum 2. Juli geboten werden: Die dreiteilige Lesereihe „res publica. Was uns alle angeht“ will einerseits auf kluge, manchmal auch umstrittene Bücher zu gesellschaftlich brisanten Themen hinweisen, andererseits dafür werben, dass die „Kammerspiele“ dem kulturellen Leben des Ortes erhalten bleiben. Weil es noch nicht soweit ist, begann alles in jener Kirche, wo man die Reformation für die Mark zuerst ausrief.

Von Regisseur Laszlo Kornitzer eingerichtet, lasen die Schauspieler Carmen Dalfogo und Rainer Strecker auf zwei Hochstühlen aus den poetologischen Vorlesungen des österreichischen Romanciers und Essayisten Robert Menasse, dessen Gesellschafts- und Kapitalismuskritik im Sinne Max Frischs trotz brillanter Ideen und schillernder Sprache „von durchschlagender Wirkungslosigkeit“ zu sein scheint oder gerade deswegen. Etwas Musik im Hintergrund, riesige Aufmerksamkeit im Gestühl. Ein Gefühl von zunehmender Dunkelheit im alten Europa vermittelte diese kompakte Lesung ihren 30 Besuchern.

Der 1954 geborene Wiener Menasse argumentiert in seinem Schopenhauer folgenden, 2005 bei Suhrkamp erschienenen Essay „Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung“ zugunsten von Freiheit und Aufklärung, weil sie in dieser „Unzeit“ so elementar bedroht sind. Ein lernfähiges Europa darf die Lehren des Jahres 1945 nicht vergessen, damit nicht Wirtschaft über Politik herrsche und der Manchester–Kapitalismus wieder auferstehe. Sein Scharfsinn kommt jedoch zu dem ernüchternden Schluss, „dass das Kapital nicht mehr bereit ist, sich am Gemeinwohl zu beteiligen“, wozu Kanzler Schröder das Seine beigetragen habe: Die Idee der Sozialdemokratie für das Kapital gemeuchelt.

Menasse geht noch weiter. So fragt er: Wen wählt man eigentlich, wenn man schon wählt? Das Brüsseler EU-Recht hat alle Gewalt, verbindliche „Vorlagen“ zu beschließen, die Parlamente der Länder seien verpflichtet, diese Papiere in nationales Recht umzusetzen. Trauriges Europa: Politik folgt der übergeordneten Administration, nicht dem Willen der Wähler! Mehr noch, Menasses Ansicht nach wurde die Europäische Union sogar zur „Überwindung der Demokratie“ gegründet.

Deutschland sieht Menasse intellektuell und sozial auf den Vorkriegsstand zurückgeworfen: Führungsmacht ist nicht mehr, wer am meisten für die Menschen tue, sondern wer die besten Waffensysteme hat, die beiden Pfeiler der Nachkriegsordnung – Fesseln für das Kapital, Bau eines Sozialstaates – sind mittlerweile hohl. Freiheit, „befreit von den Lehren, die schon mal gezogen wurden“, wird auf das Fehlen von Terror reduziert, Glück auf die Bewahrung des gepriesenen Ist-Zustandes. Längst ist mit der Demokratie auch die res publica (als öffentliche Sache) dahin: Wer sich immer nur „Sachzwängen“ beuge, verhöhne die vielzitierte Selbstbestimmung. Kurz, die Fehler von einst wiederholten sich, als hätte es das 1945er Jahr niemals gegeben.

Und die Zukunft? Trübe. Alles entgeistet, alles verdinglicht, es gehe nur noch darum, ob man sich das Handy von morgen leisten könne. Die gesellschaftliche Ruhe bleibt ja garantiert. Menasse argumentiert bestechend, aber was nützt solch gebündelte Intelligenz, wenn sie scheinbar niemand braucht? Das Publikum jedenfalls war fasziniert.

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