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KulTOUR: Anbetung des Fleisches
Im Lendelhaus in Werder ist reichlich Körperfülle zu sehen – und graziöse Gestalten.
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Werder (Havel) - In üppiger Fülle kniet Frau „Earth“ in bergiger Landschaft, ein moderner Staudamm im Hintergrund. Die Gegend ist voll von Wimmelmenschen, wie man das von den Breughel-Bildern her kennt. Werktätige sind es, Arbeiter schaffend und ruhend an einem Bau, dessen vordergründiger Teil diese knieende Fleischmasse ist. Als Figur bleibt sie von den Männern unbemerkt, ein Baugerüst wird gerade an ihr errichtet.
Der 1952 in Lübeck geborene Maler Rolf Ohst nennt „Earth“ sein Hauptwerk. Mit zwei mal drei Metern ist es auch als Bildwerk füllig, dominiert die neue Ausstellung des Potsdamer Kunstvereins „GoldrotSchwartz“ im Werderaner Lendelhaus auf der Insel ganz ungeheuer. Dabei fehlen „Earth“ quasi die Flanken, denn eigentlich handelt es sich um ein Triptychon. Im Original ist die Knieende beidseitig von zwei gemalten Kometen umgeben. Zusammengeklappt, sieht man die Erde vom Kosmos aus.
Schade, dass von all dem nicht mehr hineingepasst hat, in die erdsatte Ausstellung „Körperfülle. Graziöse Gestalt“. Obwohl ein Teil davon bereits im Potsdamer „sans titre“ zu sehen waren, springt der Verein für das Werdersche Publikum erstmals über den eigenen Schatten: Abstraktionen sind eben nicht alles.
Rolf Ohst nun hält es mit den nackten Dicken, mit den dicken Nackten. Er lässt sie einen „Schrei“ ausstoßen, macht eine Spiegelschau auf orientalisch fest, in „Boy“ staunt ein kleiner Junge einen kolossalen Fleischberg an. Mehr Fleisch – mehr Ehr’? Das ist irdisch, ist sehr barock für den Rubens-Kopisten, der selbst eine schlanke Frau hat, wie er sagt.
Er wird ob dieser Bilder angefeindet, von Feministinnen zuerst, was Bände spricht. Eine herrliche Provokation in Öl, einschichtig und in einem Zuge gemalt. Die reinste Anbetung des Fleisches. Sein Credo „Ich will Toleranz!“ Es stellt sich die Frage, wo da der Himmel bleibt, die obere Dimension. Wie viel „Erde“ braucht der Mensch eigentlich?
Der Duisburger Maler Willi Kissmer, fast im gleichen Alter von Ohst, steht für den zweiten Titel, für „Graziöse Gestalt“. Er hat sich in Homberg den berghohen Hebeturm gekauft, Wohnstatt und Atelier auf vielen Etagen. Zuerst war er Rockmusiker, dann Maler, dann beides. Vielleicht ist er das glatte Gegenteil von Ohst. Sind dessen Modelle äußerst beleibt und damit recht grob, so ist das von Kissmer höchst grazil und ästhetisch, sozusagen die reinste Schönheit für sich. Da bleibt für den Betrachter nicht viel übrig.
Oh’stens Modelle sind splitternackt, die (stets gleiche) Dame bei Kissmer nie. Er male keinen Akt, sagt er, eher betuchte Torsi, und das schon seit 1984. Tatsächlich ist diese „Sie“ in wertvolle Stoffe gehüllt, stets kreatürlich nach altgriechischer Art. Und zugleich ohne den kompletten Kopf, der habe „mit der Sache nichts zu tun“.
Der besonders im anglo-amerikanischen Raum erfolgreiche Maler mag die schönen, die sanft „durch-drückenden“ Gewänder. „Erkundung der Oberfläche“ nennt er das. Keine Tiefe? Nun, hinter jeder Ästhetik steckt ja eine Art Lebensbild. Zweierlei also bei ihm: die ästhetischen Finessen der eleganten „Verpackung“, zum anderen, (weil Torsi) eine Art „Salomo-Effekt“. Wie Fleisch immer zu Fleisch geht, so will den Kopf, wer ihn nicht hat: Salome!
Dergestalt lebt diese Ausstellung höchst kontrastreich zwischen dick und dünn, zwischen bekleidet und überquellend-nackt. Zwischen Körper-Welt und geistiger Dimension. Eine so gegenteilige Erfahrung zu machen, sei Lendels Hütte vielmals gedankt. Gerold Paul
Gerold Paul
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