Potsdam-Mittelmark: Angetippt und fallen gelassen
Berliner Stachelschweine im Beelitzer Tiedemann-Haus
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Berliner Stachelschweine im Beelitzer Tiedemann-Haus Von Gerold Paul Beelitz. Was mochte nur diese seltsame Internet-Adresse www.spen.de beim unspektakulären Auftritt der beiden „Stachelschweine“ Vera Müller und dem Wuschelkopf Detlef Neuhaus am Freitagabend in Beelitzens Spargelperle bedeuten? Sie prangte an einer einfachen Blende, welche den alerten Berlinern zu allerlei Verwandlung, aber auch zur Fortführung ihres unziemlich gleichförmigen Nummernprogramms verhalf. Auftritt – Verschwinden – Themenwechsel – nächster Auftritt, das lief im vollen, aber nicht ausverkauften Tiedemann-Saal mit erholsamer Pause über gute zwei Stunden. Der verwandlungsfähige, wenn auch etwas nuschelige Neuhaus ließ bei seinem Entree jedoch keinen Zweifel, wo die Euros klingeln und wo „Kassa blanca“ ist – in Deutschland. Ach, „schau mir in die Augen, Kleiner!“ Man wurde eines, teils literarisch ausgefeilten, Wortprogramms gewahr, welches Wulf Weidner zu „quittieren“ hatte, ob als Dramaturg, als Texter oder Regisseur, erfuhr man leider nicht, doch wäre es trotzdem nötig gewesen, diesen Allerwelts-Querschnitt aus deutschen Geld-Provinzen etwas übersichtlicher zu ordnen, von wem auch immer – einer muss „der Kleine“ doch sein! Dafür war der Stil des auch optisch so unterschiedlichen Paares erfrischend, man extemporierte sich mit den einfachsten Mitteln und deutlichem Vergnügen durch des einigen Vaterlandes verschlagendste Themenfülle. Vera Müller wollte als Fußball-Managerin ausgerechnet den erfolglosesten aller Trainer für ihren nationalen Mannschafts-Rasen einkaufen, obwohl sie ja bei jeder Miss-Wahl durchflog: Als Miss Günstig, als Kompro-Miss, Miss Erfolg oder sonst was. Zugegeben, der Unterhaltungswert dieses Bären-Duos in solchen Schnurren war nicht unbeträchtlich, aber warum verschenkte man so viele Pointen? Man muss sie doch stehen lassen, wie ungezogene Gören! An guten Stoffen mangelte es in Kassa blanca nun mitnichten, ließ man doch nichts aus, was des Volkes Seele über die letzten zwanzig Jahre irgendwie bewegte. Die so genannte Spendenaffäre des Ex-Bundeskanzlers (dreimal „We“) etwa: Der Passus „eindeutig rechtswidrig“ sei seit Helmut Kohl „nicht mehr strafbar“, hieß es (Pointe verschenkt), oder das mehrmals angesprochene, eigentlich gut zugespitzte Thema Ausländer: Ganz Große bekommen millionenschwere Beraterverträge, die Kleine wird bestraft, wenn sie ihrer polnischen Putzfrau 7,50 Euro die Stunde „schwarz“ bezahlt, ohne ein solches Papier. Die Sache mit den Inder-Greencards war auch nicht schlecht, nur wieder ein wenig verschluckt. Angetippt und fallen gelassen, einfach so, wie schade. Dann ging es um Tierpelze, um gestresste Lehrer (,,Schüler sind personifizierte Milchschnitten“) samt Pisa-Studie, um Theaterschließungen und schwule OB''s, der arbeitslose Herr Kules bekam das Wort und Herzog Ernst August ein Nasenbluten, einer verwahrte sich gegen seine Entlassung – aus dem sozial abgesicherten Knast, und das Kopftuch im aktuellen Streit entpuppte sich als Erbstück einer deutschen Omma aus dem sächsischen Chemnitz. Und so on. Das war es ja: Alles wurde nur flüchtig touchiert, um gleich zur nächsten Nummer zu eilen. Berliner sind eben flink. Es blieb kaum Zeit, die labyrinthische Themensammlung zu ordnen, geschweige denn, als Mit-Wisser mal etwas länger zu lachen. Mit der Darstellung des Ist-Zustandes, altes Brettl-Problem, ist ja sowieso viel nicht erreicht. Eher wenig. So blieb dem Schwein der Stachel stumpf, und das nach immerhin 55 Dienstjahren. Schade, denn keine pfiffige Dramaturgie führte das Spargelvolk hinter das Licht, gleichsam ins Auge der Wahrheit, dünn war die Berliner Luft in Beelitz, dafür aber unterhaltsam. „Kassa blanca“ wirkte eher wie ein Kompro-Miss zwischen Zahn und Fleisch. Wer trotzdem zu viel Geld hat: www.spen.de!
Gerold Paul
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