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Süßes Kraut. Der Süßstoff aus der Stevia-Pflanze ist jetzt zugelassen.

©  afp

Potsdam-Mittelmark: Angriff auf die Zuckerrübe

Die EU lässt Steviol-Glykosid als Süßstoff zu. In Teltow gibt es schon Erfahrungen mit der Pflanze

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Teltow - Bei Monika Poeschke in Teltow wächst Stevia seit zwei Jahren auf der Fensterbank. Die buschige Pflanze mit den pelzigen Blättern steht direkt neben der Petersilie. Und seit sie in ihrem Haushalt eingezogen ist, spielt herkömmlicher Zucker in ihrer Küche kaum noch eine Rolle. Poeschke süßt ihren Tee mit Stevia, schon ein halbes Blatt reicht dafür, so intensiv ist die Süße. Stevia-Blätter sind zwar immer noch als Zuckerersatz verboten. Immerhin ist seit diesem Monat der Stevia-Süßstoff „Steviol-Glykosid“ als Zusatzstoff in der EU erlaubt. Er ist bis zu 300-mal süßer als herkömmlicher Zucker, hat dabei aber nahezu keine Kalorien und schadet auch den Zähnen nicht.

In Deutschland waren Lebensmittel mit Stevia bisher eigentlich nicht verkäuflich. Zu haben war der süße Stoff aus der unscheinbaren paraguayanischen Pflanze aber trotzdem, zum Beispiel als Badezusatz. Wer wollte, konnte sich den in seinen Tee tropfen. Das hatte den Nebeneffekt, dass Stevia in Deutschland durchaus verzehrt wurde, aber ohne vorherige Lebensmittelkontrolle. „Ich hoffe, dass diese Produkte mit der Zulassung in Europa schnell verschwinden“, sagt Udo Kienle. Er forscht an der Universität Hohenheim zur Stevia-Pflanze.

Ältere Studien, wonach Stevia krebserregend sei und die Fruchtbarkeit des Menschen beeinträchtige, würden den heutigen Standards nicht mehr entsprechen, sagt Kienle. Jüngere Untersuchungen bestätigen diesen Verdacht auch nicht. Als E 960 wird Steviol-Glykosid nun in den Zutatenlisten auftauchen. Der Süßstoff wird also weiterhin aus China kommen, muss jetzt allerdings Lebensmittelkontrollen durchlaufen. Die Stevia-Pflanze selbst und Produkte aus ihren Blättern, wie Tee oder Extrakte, sind noch verboten. Auch für den Verzehr anbauen darf man die Pflanze in Europa noch nicht.

Monika Poeschke lässt das kalt. Sie backt sogar mit Stevia. Zwei Blätter reichen für einen ganzen Kuchen. „Sonst wird der widerlich süß“, sagt sie. Dafür hackt sie die Blätter klein und gibt sie in den Teig, auf Zucker verzichtet sie ganz. Der Kuchen schmeckt trotzdem: „Der wird genauso lecker und fluffig wie mit Zucker“, sagt sie.

Der empfohlene EU-Grenzwert für das Steviol-Glykosid liegt bei zehn Milligramm pro Kilo Körpergewicht am Tag. Das entspricht der Süßkraft von etwa 80 Gramm Zucker. Ein Liter Cola enthält aber schon mehr als 100 Gramm Zucker. Erlaubt sein wird E 960 in Marmeladen, Limonaden oder Milchprodukten wie Joghurt, nicht aber in Gebäck, Desserts oder Snacks. Wegen dieser Einschränkungen ist fraglich, ob die Zulassung der Durchbruch der Stevia-Pflanze in Europa ist, meint Stevia-Experte Kienle. Er ist skeptisch, auch weil Steviol-Glykosid einen für Europäer ungewohnten Eigengeschmack hat: „Wir essen gern süß“, sagt er. „Aber für uns ist der ideale Süßgeschmack Zucker.“ Stevia-Süße hat einen lakritzigen Eigengeschmack. Wie stark der ist, hängt von der Reinheit des Süßstoffs ab. „Das Herstellungsverfahren ist sehr komplex“, so Kienle.

Es geht auch einfacher: Wer eine Stevia-Pflanze haben möchte, muss nicht mal nach Paraguay reisen. Der Weg nach Teltow reicht völlig: Beim „Teltower Exotenzentrum“ namens „bananenbauer“ werden seit acht Jahren Bananenpflanzen und andere Gewächse angeboten – auch Stevia. „Sie werden hier als Zierkraut verkauft“, sagt Monika Poeschke. Solange die Pflanze in der EU nicht zugelassen ist, geht das nicht anders. „Aber wer die Blätter essen möchte ...“, sagt sie und lacht. 4,50 Euro kostet die Zuckerrevolution für die Fensterbank, ab April ist „Stevia Rebaudiana“ wieder im Angebot. (mit mar)

Inga Höltmann

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