Potsdam-Mittelmark: Anstrengend wie auf dem Bau
Bis zum Feierabend bückt sich Mike Kluge 9600 Mal, um grünen Spargel zu stechen
Stand:
Beelitz - Bücken, mit der linken Hand den Spargel greifen, mit der rechten das lange Messer neben der grünen Stange in die Erde rammen – etwa zwei Zentimeter tief –, dann abstechen und wieder aufrichten. Kurz vor der Frühstückspause um 10 Uhr hat Mike Kluge die Prozedur schon rund 2400 Mal hinter sich. Bis zum Feierabend wird er sich ungefähr 9600 Mal gebückt haben.
Der Neuseddiner hilft am Spargelhof Klaistow bei der Ernte. Wie die 22 anderen deutschen Spargelstecher aus Potsdam-Mittelmark fährt er bis Juni jeden Morgen mit dem Auto zur Arbeit auf dem Feld an der Schönefelder Straße in Beelitz. Auf dem Acker nebenan arbeiten polnische Kollegen. Sie stechen den weißen Spargel, die Deutschen den grünen. Der sei leichter zu ernten, erklärt Spargelbauer Jörg Buschmann.
Nach den weißen, unterirdischen Stangen müssten die Stecher erst buddeln. Außerdem muss er mehrmals täglich gestochen werden, weil die weißen Köpfchen nicht aus dem Boden sprießen dürfen. Das Sonnenlicht würde sie sonst erst violett, dann grün färben. Aber grün darf nur der Spargel auf den 15 Hektar werden, die Kluge und seine Kollegen täglich abernten. Sie sind die einzigen deutschen Spargelstecher in dem Landwirtschaftsbetrieb. Bis zu 75 Tonnen verkauft Buschmann davon pro Saison – vom in Deutschland beliebteren weißen 2100 Tonnen.
Bis zu 600 Polen stellt Buschmann für die Spargelsaison ein. Laut Arbeitsagentur helfen zur Zeit insgesamt etwa 7000 Ausländer auf brandenburgischen Feldern, weit über die Hälfte davon in der Region Potsdam. Seine polnischen Helfer arbeiten von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends zwischen den Erdwällen auf den Feldern.
„Aber sie machen auch drei bis vier Stunden Mittagspause“, sagt Mike Kluge fast trotzig. Für die Grün-Spargel-Stecher bleibt die halbe Stunde zum Frühstücken die einzige Pause am Arbeitstag. Der beginnt meist um 7 Uhr und dauert in der Regel acht Stunden, sechs Tage die Woche. Acht sehr harte Stunden. Seit am 23. April die Saison für den grünen Spargel begonnen hat, hat Kluge spürbar abgenommen. Der Rücken schmerzt ständig. Er stapft mit dem Spargel-Handwagen über den Acker. Kluge hat die gestochenen Stangen in kleine Häufchen neben die Spargelreihe gelegt und will sie nun einsammeln. Seine eigentlich schwarzen Arbeitsschuhe sind beige vor Staub, versinken bei jedem Schritt in der Erde, die durch das trockene Wetter weich ist wie Schnee. „Wenn ich abends nach Hause komme, habe ich erstmal die Schnauze voll von Spargel – bis zum nächsten Morgen.“ Dabei ist der Mann schwere Arbeit gewöhnt. Jahrelang hat er auf Baustellen sein Geld verdient. Doch dann wurde er krank: „Am Rücken. Ich hatte Knochenbrüche“ – ein Arbeitsunfall, sagt er. Nach der Genesung folgten Schulungen vom Arbeitsamt. Mike Kluge absolvierte einen Computerkurs, fand aber keinen neuen Job im Büro. Also bewarb sich der 36-Jährige als Saisonkraft in der Landwirtschaft: „Ich hab“ mich freiwillig gemeldet.“ Das Spargelstechen sei eine bessere Beschäftigung als daheim auf dem Sofa zu hocken. Und „so kommt man wenigstens nicht auf dumme Gedanken“. Ein weiterer Vorteil: Er verdient auf dem Acker mehr als zu Hause mit Hartz IV.
3,83 Euro zahlen die Spargelbauern pro Stunde – plus sechs Cent für jedes geerntete Kilo. Bis zu 140 Kilogramm pro Tag kann ein guter Stecher schaffen. Außerdem erhalten sie von der Arbeitsagentur 18 Euro Netto obendrauf. Denn die will deutsche Arbeitslose aufs Feld bringen. Mindestens 20 Prozent einheimische Erntehelfer – so die Zielvorgabe des Bundes. Erreicht wurde sie bisher nicht. 2006 stammten nur rund fünf Prozent der Saisonkräfte aus der Region. Auch 2007 werden laut Arbeitsagentur voraussichtlich nur 800 Brandenburger bei der Ernte helfen. Bei Buschmann&Winkelmann dagegen sind rund ein Drittel der Angestellten Deutsche. Die meisten der 350 einheimischen Saisonkräfte kellnern im Restaurant auf dem Spargelhof oder verkaufen die Stangen. Andere steuern die Laster, die den Spargel körbeweise von den Äckern zum Hof in Klaistow fahren. Dort wird er in einer riesigen Halle von speziellen Maschinen gewaschen.
Vor Ort auf dem Spargelfeld arbeiten jedoch nur Mike Kluge, seine Kollegen und ihre Vorarbeiterin Annette Küsel. Der Jüngste in ihrem Team ist 21, der älteste 57 Jahre alt. Küsel findet ihre Leute „einwandfrei“. Das war nicht immer so. Als Buschmann in den 90er Jahren die ersten deutschen Erntehelfer anheuerte, musste er den Großteil wieder heimschicken. Nicht nur, dass sie völlig ungeschult waren: „Die erste Frage war, wo ist das Waschbecken?“ Doch seit einigen Jahren vermittelt die private Jobagentur Agrotime zusammen mit dem Arbeitsamt die deutschen Helfer. Seitdem melde sich kaum noch ein Spargelstecher krank. Nur noch wer geeignet und arbeitswillig ist, darf aufs Feld.
Wer dann die Saison über bleiben darf, entscheidet Vorarbeiterin Küsel. Vor neun Jahren stand sie selbst als eine der ersten deutschen Stecherin bei Buschmann auf dem Spargelacker. Heute kontrolliert sie die abgeernteten Reihen und organisiert den Spargel-Transport. Und sie achtet darauf, dass niemand Spargel mit nach Hause nimmt. Auch Mike Kluge weiß: „Das ist ein Kündigungsgrund.“
Juliane Wedemeyer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: