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Potsdam-Mittelmark: Arbeiten, wenn der Ball rollt

Sie sind auf Abruf bereit, fahren Busse, backen Kuchen oder müssen früh raus: Mittelmärker verraten, wie sie die späten Spiele der Weltmeisterschaft verfolgen

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Es wäre der größte anzunehmende Unfall: Donnerstag in Fußballdeutschland, in Brasilien rollt der Ball, doch hierzulande bleiben die Bildschirme schwarz. Kein Kommentar, keine Expertengespräche und keine Ahnung, was auf der Südhalbkugel gerade passiert – nur Stromausfall. Die Wut wäre groß und Michael Grunwaldt schon flinken Fußes auf dem Weg zum nächsten Stromkasten. Der Stahnsdorfer hat einer der vermeintlich wichtigsten Jobs während der Fußball-Weltmeisterschaft: Er sorgt als Angestellter beim Stromversorger Edis dafür, dass der Saft in Mittelmark fließt.

Müllabfuhr, Busfahrer, Schüler oder Büroangestellte – wenn heute Abend deutscher Zeit in Brasilien die Jagd nach dem runden Leder beginnt, wird auch etliche Deutsche das Fußball-Fieber packen. Angesichts der bis zu sechsstündigen Zeitverschiebung und Anstoßzeiten von 22 Uhr, Mitternacht und sogar 3 Uhr ist mit Nebenwirkungen zu rechnen: tiefe Augenringe und Schlafmangel. Doch viele haben keine Wahl. Sie müssen ran – haben aber den einen oder anderen Trick parat, um auf dem Neusten zu bleiben.

Michael Grunwaldt zum Beispiel hofft einfach auf ein arbeitsfreies Fußballerlebnis: Der Edis-Angestellte ist auch Chef des größten Sportvereins der Region Teltow, dem RSV Eintracht. Gemeinsam mit etlichen Mitgliedern will er alle Deutschlandspiele auf dem Vereinsgelände in der Zillestraße in Stahnsdorf sehen. „In großer Gruppe macht das mehr Spaß als allein auf dem Sofa.“ Solange Strom fließt, will er kein Spiel verpassen und ist lediglich auf Abruf bereit. Für den Notfall.

Komplizierter ist es für Havelbusfahrer Peter Huptas. Der 56-jährige Caputher hat seinen Videorekorder bereits programmiert, denn beim Eröffnungsspiel lenkt er seinen Bus von Ferch nach Potsdam. „Wenn ich nachts nach Hause komme, gucke ich mir das zur Entspannung an.“ Radio hören während der Fahrt sei verboten – und eigentlich will Huptas das auch nicht. Das würde die Spannung seiner Fernseh-Aufzeichnung zunichte machen. Fahrgäste brauchen sich also nicht zu wundern, wenn sich Huptas die Ohren zuhält, wenn sie das ein oder andere Ergebnis herausposaunen. „Das ist bei vielen Euphorie pur und ich kann es ihnen nicht verdenken.“

Das Internetaktionshaus Ebay mit Sitz in Kleinmachnow macht es seinen Angestellten hingegen gemütlich, sagt Deborah Friedmann. Die 29-jährige Fashion- Managerin wird zum Beispiel das Spiel Deutschland-Portugal auf dem Ebay-Campus im Ortsteil Dreilinden vor einer Großleinwand am künstlichen See verfolgen. „Dazu gibt es BBQ und Getränke für die Kollegen. Für uns ist das perfekt.“ Überhaupt müsse kaum jemand ein Spiel verpassen, in fast allen Räumen gebe es Monitore und auch die Arbeitszeiten seien flexibel und könnten den Anstoßzeiten zur Not angepasst werden. Insgeheim fiebert Friedmann übrigens für Chile, dem Heimatland ihrer Familie.

Der Teltower Bäckermeister Thomas Neuendorff setzt auf Deutschland, auch wenn das bedeutet, mitunter nur eine kurze Nacht zu bekommen. „Ich ärgere mich richtig über die Anstoßzeiten.“ Während die ersten seiner Bäcker um 22 Uhr mit den Vorbereitungen für Brot und Brötchen beginnen, muss Konditor Neuendorff ab 4 Uhr ran. Das bedeutet, früh ins Bett zu gehen. „Ich werde mich dann am Abend zwingen müssen, auf die zweite Halbzeit zu verzichten.“ Verlängerungen sind erst gar nicht drin. Schließlich wollen Plundergebäcke und Amerikaner im Fußballdesign gebacken werden.

Auf solchen Fußballplunder kann Hendrik Reinkensmeier gut und gerne verzichten. „Es wird einige vielleicht verblüffen, aber ich werde gar nicht gucken“, sagt der Schulleiter des Michendorfer Wolkenberg-Gymnasiums. Höchstens das Endspiel und auch nur, wenn Deutschland im Finale stünde. Der 54-jährige Gartenfreund teilt die Faszination Fußball nicht. „Ich müsste nachts schon nicht schlafen können, damit ich mich vor den Fernseher setze.“ Auch verschlafene Schüler brauchen bei ihm in der Zeit bis zum Finale am 13. Juli nicht auf Mitleid zu hoffen: „Die werden gut beraten sein, sich so einzurichten, dass Schule bei ihnen noch funktioniert.“ Unterricht oder gar Klassenarbeiten würden für die WM jedenfalls nicht verschoben. „Da überlege ich überhaupt nicht.“

Weil auch Anne Janthur zu den Spielen arbeiten muss, hat sich die Bademeisterin im Kleinmachnower Freibad Kiebitzberge einfach einen Tag frei genommen. So wird sie das Deutschlandspiel gegen Portugal am Montag nicht verpassen. So groß sei die Liebe zur Mannschaft. Eigentlich hätte sie beim Anstoß um 18 Uhr noch am Beckenrand gestanden. „Wenn ich Dienst habe, kann ich kein Fußball gucken“, sagt die 49-Jährige. Bei anderen Spielen wird sie deshalb auf die Hilfe von Badegästen angewiesen sein. Mit etwas Glück halten die sie auf dem Laufenden.

Michael Grunwaldt hat einen der wichtigsten Jobs während der WM: Er sorgt für Strom

Ebay-Mitarbeiterin Deborah Friedmann genießt den Service des Hauses: BBQ und Leinwand

Havelbus-Fahrer Peter Huptas will die Ergebnisse während der Fahrt noch gar nicht wissen

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