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Potsdam-Mittelmark: Astrid Lindgren würde es freuen

Mehr als 150 Kinder folgten dem Aufruf der Natura-Buchhandlung und schrieben eine Geschichte

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Kleinmachnow - Astrid Lindgrens Geschichten von Pippi Langstrumpf und Räubertochter Ronja kennt wohl jeder, aber nicht jeder scheint sie mehr zu verstehen. Zumindest gibt es Meldungen, wonach sich deutsche Verlage bemühen, die weltberühmte Schwedin für die untere Lesegruppe nochmals zu „übersetzen“, also zu vereinfachen. Vor dieser Bankrott-Erklärung der modernen Pädagogik wirkt der Aufruf der Kleinmachnower Natura-Buchhandlung wie ein Segen, eine Geschichte zum Thema „Fremde Welten“ zu schreiben und einzureichen.

Angesprochen war die Altersgruppe von 7 bis 13 Jahren in der Region. Keiner hatte vermutet, dass mehr als 150 Kinder diesem Aufruf folgten, ja dass man die „Siegerehrung“ sogar um das Fach Lyrik erweitern müsste. Am Freitag fand die große Preisverleihung im proppevollen Bürgersaal statt. Eine siebenköpfige Jury begründete die „Urteile“, Kinder lasen dann vor, was andere Kinder aufgeschrieben hatten, und mehrere renommierte deutsche Verlage sorgten dafür, dass sich in den schön verpackten Preis-Paketen auch wirklich etwas Gutes befand. Bei der hohen Zahl der Teilnehmer gab es natürlich auch viele sehr gute Beiträge, die nicht mit einem Preis bedacht werden konnten. „Schreibt einfach weiter“, ermunterte Buchhändlerin Andrea Schneider die Kinder – der erste Aufruf soll ja der letzte nicht sein.

Aber bevor Namen der Sieger genannt wurden, las man, um es so richtig spannend zu machen, erst mal deren Geschichten. Sehr auffällig, dass bei allen Autoren sowohl ein persönlicher Bezug zum Geschriebenen als auch eine Verantwortung „fürs Janze“ zu erkennen war. Zu hören war so eine ganz fabelhafte auf Kleinmachnow abgestellte Geschichte „Das Auto, das mit Müll fährt". Ein Preisträger ließ ein Flugzeug inmitten der Wolken anhalten, weil die Protagonistin Geburtstag hat – eine hübsche Geschichte um Freundschaft und Ferne. Je älter, desto mehr wurde der Anteil freier Phantasie durch die aktuelle Begrifflichkeit der Gesellschaft ersetzt. „Nachher vor zweihundert Jahren“ erzählt, wie ein Junge per Zeitreise Napoleon vor Waterloo warnt, „Land im Ozean“ dreht die Perspektive von Meerverschmutzern und denen um, die in dem Dreck leben sollen. Noch höher im Alter – es sind ja schon Jugendliche - wurden Exempel gegen Rassismus und pro Toleranz montiert, die Juroren honorierten das an ziemlich vorderer Stelle.

Natura-Inhaber Holger Mehlhardt und all seine Helfer hatten nicht nur aus einer Fülle guter Prosa auszuwählen, auch die Gedichte hatten es in sich. Die Sonderpreise, einer für jede Altersgruppe, reichten von „völlig verdreht“ bis zur brillanten Sentenz auf das Haiti-Erdbeben. Wer partout nicht schreiben mochte, aber trotzdem teilnehmen wollte, konnte einfach das kopierte Titelblatt seines Lieblingsbuches (von der Häschenschule bis Spider-Rock) abgeben, oder ein Bild zum Thema „Fremde Welten“ malen: Kleine grüne Männchen, ein sehr stabiles Boot für Über- und Unterwasserfahrten, der große Mond mit seinen Kratern. Zwischen den beiden Stunden gab es Saft und Kuchen. Eine tolle, eine wichtige Sache wider die schleichende Analphabetisierung dieser Gesellschaft, Astrid Lindgren würde es freuen. Gerold Paul

Gerold Paul

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