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Auf dem Weg zur Arbeit und zurück in ein geregeltes Lebens: Benjamin, Görkem, Dominic und Sozialpädagoge Alf Werres beim Einsatz auf dem Südwestkirchhof.

© Manfred Thomas

Potsdam-Mittelmark: „Auf der Walz“ als letzte Chance

Durch Arbeit auf dem Südwestkirchhof sollen Problem-Jugendliche lernen, ihr Sozialverhalten zu ändern

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Stahnsdorf - Der Haushaltsplan am Küchenschrank ist mit ordentlicher Handschrift geschrieben. „Abwaschen“ und „Abtrocknen“ gehören nach dem Essen zum Pflichtprogramm. „Hab ich nochmal sauber aufgeschrieben“, betont Benjamin, was aber nichts daran ändert, dass „wir uns nicht immer dran halten.“

Verglichen mit den Problemen von Benjamin und seinen beiden Mitbewohnern Dominic und Görkem ist ein Disput über den Spülplan eher eine Lappalie. Stress in der Schule, Streit mit Lehrern, miese Noten, Ärger und Krach zu Hause, Schlägereien, Aggressions- und Wutattacken, falsche Freunde zählen die 13- bis 16-Jährigen aus Berlin, Nauen und Woltersdorf als Gründe auf, die sie letztlich zum Sozialprojekt „Auf der Walz“ führten. Das macht derzeit für drei Wochen auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf Station.

Sechs Monate ziehen die drei Jugendlichen, begleitet von zwei Sozialpädagogen, durchs Land, um auf Bauernhöfen, in Werkstätten, auf Baustellen oder nunmehr auf dem Südwestkirchhof zu arbeiten. Ihr Domizil ist ein alter Zirkuswagen. Durch das Zusammenleben und die Arbeit sollen die Jugendlichen ihre Beziehungs- und Bindungsfähigkeit zurückgewinnen, Teamfähigkeiten erlernen und eine stabile Persönlichkeit entwickeln. „Die Änderung des Sozialverhaltens ist das wichtigste Ziel“, beschreibt Sozialpädagoge Alf Werres die Idee des Projektes, das es seit sechs Jahren gibt. „Die Jungs sollen lernen, sich altersgerecht selbstständig zu organisieren und am Ende soweit gefestigt sein, dass sie wieder zur Schule gehen können“, erklärt er. Zu den Eltern gibt es während dieser Zeit lediglich Telefonkontakte. Ansonsten heißt es, an verschiedenen Orten immer wieder neue Leute kennenzulernen, mit ihnen zu arbeiten, zu essen und auch zu leben. „Weil wir ständig unterwegs sind, kommen wir weg von unserem alten Umfeld“, sagt Görkem. „Hier haben ich keine schlechten Freunde“, meint Benjamin. Und Dominic spürt nach den ersten Wochen, „dass der Umgang mit neuen Leuten hilfreich ist“.

Der Südwestkirchhof ist ihre sechste Station auf der Walz. Mit Sägen und Heckenscheren stutzen sie den Wildwuchs, der die Randbereiche der Gräberfelder überwuchert. Wenn es richtig zur Sache geht, jault zur Freude der Jungs der Motor eines Unimogs auf und zerrt dicke Wurzeln und Stämme aus der Erde. „In der nächsten Woche sollen sie einige zugewachsene Grabanlagen freilegen und dann erzählte ich ihnen auch etwas zur Geschichte und Bedeutung des Friedhofes“, sagt Kirchhofverwalter Olaf Ihlefeldt. Er hat gute Erfahrungen mit dem Kinder- und Jugendheim Siethen, dem Träger des Projektes: In den vergangenen Jahren kamen bereits mehrfach Jugendgruppen der gemeinnützigen Gesellschaft zum Arbeitseinsatz auf den Südwestkirchhof.

Nach der Walz werden die drei Jugendlichen mit ihren beiden Sozialpädagogen Werres und Heiko Thieme, die im Wechsel einen 24-stündigen Betreuungsdienst leisten, in Siethen eine gemeinsame Wohnung beziehen und zur Schule zurückkehren bzw. ein Schulprojekt beginnen. Das letztjährige Walz-Projekt macht Werres Mut. „Das haben wir mit drei Jugendlichen begonnen und beendet", sagt er.

„Die Arbeit hier ist okay“, sagt Benjamin, während die Malerarbeiten auf der letzten Station irgendwann langweilig wurden. Pflastersteine zu verlegen fand Dominic „ganz witzig“, Benjamin hingegen „doof“. Dass sie für Strom und Wasser arbeiten und keinen Lohn bekommen, „stört mich nicht", sagt Dominic. „Es geht nicht ums Geld“, sagt Görkem. Alle drei wissen, dass es um viel mehr geht: „Es ist unsere letzte Chance.“ Peter Könnicke

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