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Potsdam-Mittelmark: Auf sensiblem Terrain

Ahnungslos zog Richard Martin nach Teltow-Seehof. Jetzt führt er eine Bürgerinitiative

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Teltow - Naiv ist ein Wort, das Richard Martin wiederholt für sich beansprucht. Auch „blauäugig“ nennt sich der junge Mann. Man mag das kaum glauben: Diplom-Ingenieur, Softwareentwickler, Chef der eigenen Firma, Hausbesitzer. Martin scheint der Prototyp von „jung, dynamisch, erfolgreich“. Vor sechs Jahren zog er mit seiner Frau vom Prenzlauer Berg nach Teltow-Seehof. In die Max-Sabersky-Allee. Dass der Name Sabersky für den größten deutschen Vermögensstreit um frühereres jüdisches Eigentum steht, die Worte Seehof und Restitution ein unzertrennliches Paar bilden – „das war mir nicht bewusst“, gesteht Martin. Inzwischen hat ihn die Geschichte eingeholt.

Als Anfang des Jahres die Pläne der Sabersky-Erben Valerie und Peter Sonnenthal bekannt wurden, wie die Siedlung zwischen Teltowkanal und Lichterfelder Allee bebaut werden soll, sah sich Martin mittendrin im Spannungsgefüge von Vergangenheit und Gegenwart. Die Vertreibung der Saberskys, denen zur Zeit der Weimarer Republik fast ganz Seehof gehörte, der Verkauf ihrer Grundstücke im Dritten Reich durch die Nazis, der Rechtsstreit der jüdischen Erben, der fast so alt ist wie die deutsche Einheit, der ruinierte Frieden in der Siedlung, weil altes Leid neues Leid zu schaffen drohte, die nun bevorstehende Rückübertragung hunderter Grundstücke und die geplante Bebauung des Viertels – all das zählt zur wechselvollen Geschichte der Siedlung.

15 Jahre haben die Sabersky-Erben um ihre Rechte gestritten, allein sechs Millionen Euro wurden Prozesskosten ausgegeben, ehe die Leipziger Bundesverwaltungsrichter im vergangenen Jahr die Restitution anordneten. Nach all den Jahren hat es dennoch viele überrascht, dass die Sonnenthal-Geschwister jetzt detailliert planen, in Seehof das fortzuführen, was ihre Vorfahren begonnen haben: die weitere Entwicklung des Gebietes. Auch Richard Martin war erstaunt, als in dem Wäldchen vor seiner Haustür Bäume markiert wurden und das Gerücht in der Siedlung die Runde machte, dass der Wald vollständig verschwinden soll. Er sei nicht ins Grüne gezogen, um nach kurzer Zeit keinen Baum mehr vorm Haus zu haben, sagt Martin. Er begann, Fragen zu stellen und bekommt nun nach und nach die Geschichte seiner neuen Heimat erzählt.

Seine Unkenntnis über Seehofs Historie macht den 39-Jährigen völlig unbelastet. Seine Unvoreingenommenheit macht ihn glaubwürdig als Streiter für eine behutsame Entwicklung des Ortsteils. Vielleicht findet er sich deshalb an der Spitze der vor wenigen Wochen von ihm mit gegründeten Bürgeriniative „Wir in Seehof“ wieder, die den Erhalt der grünen Gartenstadt zu ihrem Ziel erklärt hat. „Nur darum geht es“, betont Martin. Er kennt die Antisemitismus-Vorwürfe, mit denen Seehofer in der Vergangenheit konfrontiert worden sind. „Antisemitismus“, so Martin resolut, „hat bei uns keinen Platz.

Im Eiltempo hat es Martin in den letzten Wochen durch Teltows Parteienlandschaft getrieben, um herauszufinden, was die politischen Akteure der Stadt denken. Die Sorge um die Reize Seehofs ließen ihn beim Bürgermeister, in Behörden und Ämtern vorstellig werden. Er hat mit Betroffenen gesprochen, sich mit Sonnenthal und dessen Anwälten getroffen, Naturschutzexperten konsultiert, Verbündete gesucht. „Blauäugig“ sei er in so manchem Treffen und Gespräch gegangen. „Naiv“ seien seine Vorstellung gewesen, wie Politik funktioniert. Dass der Bürgermeister im Bauausschuss des Stadtparlamentes über bauliche Richtlinien für Seehofs Zukunft abstimmen lassen wollte, obwohl es dutzende offener Fragen gibt, hat Martin misstrauisch gemacht: Städtebauliche Ideen abzusegnen, ohne zu wissen, welche Grundstücke überhaupt rückübertragen werden, ohne genau geprüft zu haben, was der angestrebte Siedlungsplan für die Lebensqualität im Viertel bedeutet, ohne zu klären, wie mit dem Wäldchen und anderen Biotopen umgegangen wird – all das hielt Martin für bedenklich. Nach eigenem Aktenstudium und zahlreichen Erkundungen vor Ort wagt er zu behaupten, „dass viele die komplexen Zusammenhänge nicht überschauen.“ Inzwischen würde man allein durch die vielen Fragen der Bürgerinitiative erkennen, dass Eile ein schlechter Ratgeber ist und alles seine Zeit braucht.

So unvoreingenommen Martin sich für eine verträgliche Entwicklung der Siedlung engagiert, so diplomatisch gibt er sich. „Es besteht Konsens innerhalb der Bürgerinitiative, dass die Rechte und das Eigentum der Sonnenthals anerkannt werden.“ Dass die Stadtverordneten Peter Sonnenthal vor einigen Wochen im Bauausschuss nicht einmal die Möglichkeit gaben, seine Pläne vorzustellen, kann Martin nicht verstehen. Es nütze nichts, die Fronten zu verhärten. Keiner seiner Mitstreiter in der Bürgerinitiative wolle etwas blockieren oder verhindern, im Gegenteil: „Wir erkennen, dass Seehof eine Entwicklung braucht, dass Lücken und Brachen bebaut werden müssen.“ Entscheidend seien jedoch Maß und Form. Den bislang präsentierten Plänen attestiert Martin jedoch „tendenziell keine behutsame Bebauung“.

Der Softwareentwickler weiß, dass er sich auf fremdes Terrain begeben hat. „Ich bin kein Stadtplaner,“ sagt er. Vielmehr leitet ihn das Gefühl, das er mit vielen seiner Nachbarn teilt, dass es die Vorzüge der Siedlung zu verteidigen gilt. Und so studiert Martin Bebauungspläne, jongliert er mit Kürzeln der Baufachsprache wie GRZ und GFZ, er recherchiert und archiviert. Er wünsche sich eine Entwicklung Seehofs, mit der alle zufrieden sind. Das gleiche sagt auch Peter Sonnenthal.

Der ruhige Ort im Grünen, in den es Richard Martin und seine Frau vor Jahren zog, hat sich als Minenfeld entpuppt. Ein falscher Schritt, egal von wem, und es kommt zur Explosion. „Hier brennt die Luft“, beschrieb unlängst der CDU-Stadtpolitiker Erhard Wigand die Atmosphäre. Vorsichtig tappt Martin zwischen den Fronten. Er will entschärfen, vermitteln, Kompromisse finden. Ob es gelingt, weiß er nicht. Vielleicht wird er am Ende sagen, dass es ein naives Unterfangen gewesen sei.

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