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Potsdam-Mittelmark: Aufbegehren am Teltowkanal

Gemeinsamer Ruf aus Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow, die Region als Mittelzentrum anzuerkennen

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Gemeinsamer Ruf aus Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow, die Region als Mittelzentrum anzuerkennen Von Peter Könnicke Stahnsdorf. Das Studium der „Bibel“ gehört derzeit zur intensiven Beschäftigung des Stahnsdorfer Bürgermeisters. Auf der Suche nach Beistand und Auswegen in schlechten Zeiten ist Gerhard Enser bei der Lektüre fündig geworden. Im Regionalplan, der für die Entwicklung der mittelmärkischen Städte und Dörfer für Enser die „Bibel“ ist, findet er die Lösung, die Stahnsdorf und seine Nächsten – Kleinmachnow und Teltow – von der akuten Not des Geldmangels befreit. Dort steht im zweiten Kapitel das erlösende Wort geschrieben: Mittelzentrum. Städte wie Nauen, Belzig oder Ludwigsfelde erfahren seit Jahren, was es bedeutet, ein Mittelzentrum zu sein. Wenn das Land jährlich seine Geldzuweisungen über die Mark verteilt, bekommen Mittelzentren 18 Prozent mehr als ein Ort, der sich selbst zu versorgen hat. Denn ein Mittelzentrum hat Aufgaben zu erfüllen, die weit über die Stadtgrenzen hinaus in Anspruch genommen werden; „Wohnen“ und „Arbeiten“ sind die Schwerpunkte einer mittelzentralen Entwicklung. In der Regel sind Mittelzentren ausgestattet mit Kinos, Bibliotheken, Berufsschulen, Sportanlagen, Musikschulen, Facharztpraxen, Volkshochschulen, Freibädern All das hat die Region Teltow auch zu bieten. Kleinmachnow hat ein Schwimmbad, eine Förderschule, Filialen der Kreismusik- und Volkshochschule. Ein Kleinmachnower Entwicklungsgebiet nutzt sogar die verbale Vorgabe der Regionalplaner, indem es den Titel „Arbeiten und Wohnen“ trägt. Stahnsdorf bietet mit dem Zille-Sportplatz ein Terrain für mehrere hundert Sportler, die Gemeinde unterhält eine Gesamtschule mit Ganztags- charakter. Und die Kontakt- und Informationsstelle berät täglich bei Sorgen und Nöten. In Teltow lernen Berufsschüler am Oberstufenzentrum, es gibt Banken und Versicherungen und ein Ärztehaus, demnächst verkehrt hier die S-Bahn. Zusammen erfüllen die drei Kommunen längst die Funktion eines Mittelzentrums. Ihre finanzielle Ausstattung aber ist eine andere. Stahnsdorf und Kleinmachnow gelten als „Selbstversorgerorte“, denen ein monetärer Bonus nicht zusteht. Teltow als bereits höher bewertetes Grundzentrum bekommt ein paar Landes-Alimente mehr. Dass Kleinmachnow ausschließlich sich selbst versorgt, gilt für Bürgermeister Wolfgang Blasig (SPD) schon lange nicht mehr. „Wir erfüllen Ergänzungsfunktionen zur Bundeshauptstadt“, beschreibt er den Wirkungsradius des Freibads oder der Kammerspiele. „Bisher fehlte das explizite Wollen der Landesoberen, das dynamische Wachstum der Region zur Kenntnis zu nehmen“, bedauert Blasig einen stiefmütterlichen Umgang, wenn es ans Geldverteilen geht. Auch Stahnsdorfs CDU-Bürgermeister beklagt den zweigeteilten Blick auf die Region: Als es darum ging, die Linie für die neue Landestraße 40 festzulegen, galt der regionale Freiraum mit der Parforceheide bedeutsam für das Naherholungsbedürnis der Bundes- und Landeshauptstädter. „Beim Geld sind die Landespolitiker bislang nicht auf die besondere Lage und Funktion der Region eingegangen“, moniert Enser. Lange Zeit haben Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf sich mit den zugewiesenen Mitteln zufrieden gegeben, mit dem die eigenen Grundbedürfnisse bedient wurden, auch wenn weitaus mehr als die Pflicht getan wurde. Das teure Kürprogramm hat die Region attraktiv gemacht, ihr reichlich Zuzüge beschert und die Ansprüche seiner Bewohner hochgeschraubt. Inzwischen ist für 50 000 Menschen in Kleinmachnow, Stahnsdorf und Teltow das Angebot an Versorgung, ÖPNV, Sport und Kultur zum Standard geworden. Mehr noch: Es wird über Engpässe geklagt. Keine andere märkische Region entwickelt sich so dynamisch wie die links und rechts des Teltowkanals. Dass die Landesoberen das flotte Wachsen der Kommunen im südlichen Speckgürtel nahezu dem Selbstlauf überlassen würden, beklagt Kleinmachnows Ortschef Blasig schon seit Jahren. Inzwischen aber ist eine Schmerzgrenze erreicht: Mit dem Finanzausgleichsgesetz, das CDU-Innenminister Jörg Schönbohm als neuen Weg der finanziellen Ausstattung der Kommunen in diesen Tagen vorstellte, würde sich für die drei Orte nichts ändern. Bliebe es für die Region bei der bisherigen Zahlungspraxis, „fehlen uns Millionen, um Angebote aufrecht zu erhalten und notwendige Entwicklungen zu bezahlen“, alarmiert Enser. Aus diesem „brisanten Anlass“ halte er es für zwingend, gemeinsam Position zu beziehen: Gestern kündigte er zusammen mit seinem Amtskollegen Blasig und Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) einen gemeinsamen Antrag an die Landesregierung an, die Region als „Mittelzentrum in Funktionsergänzung“ anzuerkennen. „Die Realität muss endlich zur Kenntnis genommen werden“, betont Blasig. Der Antrag ist nicht neu. Der gleiche Wortlaut wurde bereits vor zwei Jahren formuliert – in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Regionalplan. Der Ruf aus den drei Orten war an die Regionale Planungsgemeinschaft gerichtet. Dort ist er verhallt. Die ernüchternde Antwort aus der Planungsstube: Es gibt wenig Neigung, sich um solche Wünsche der Region zu kümmern. „Solange diese Angelegenheit nicht zur Sache von Spitzenpolitikern auf Regierungsebene wird, dürften selbst fundierte Gutachten der Regionalplanung nichts ändern.“ Die Antwort ist pikant: Immerhin stellen die Autoren des Regionalplans damit ihr eigenes Werk in Frage. Denn darin stellten sie schon 1998 fest, dass „für Teltow alle Optionen für eine Entwicklung als Mittelzentrum offen gehalten werden sollen“. Denn mit seiner Nähe zu Berlin stehe die Stadt vor „besonders schwierigen“ Aufgaben, es komme darauf an, „Angebote zu bündeln und aufzuwerten“. Zudem sei für die anwachsenden Nachbargemeinden „besonderer Handlungsbedarf“ gegeben. Papier ist geduldig: Sowohl die Planungsbroschüre wie auch der gemeinsame Antrag auf Anerkennung der Region als Mittelzentrum harren ihrer Umsetzung. Da kommt einem eloquenten Bürgermeister wie Enser die Einlassung von Innenminister Schönbohm gerade recht, der jüngst meinte: „Wir werden uns damit befassen müssen, wenn alle drei Orte das Mittelzentrum in Funktionsergänzung gemeinsam beschließen.“ Der Zeitpunkt, den Ball mit vereinter Kraft zurückzuspielen ist gleichermaßen zwingend wie günstig: Im September sind Landtagswahlen.

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