Potsdam-Mittelmark: „Aus dem Bösen Gutes schöpfen“
Tränen beim Gespräch im Gemeindehaus nach Schändung der Stülerkirche in Caputh
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Schwielowsee · Caputh - Es kam nicht unerwartet: Als die Evangelische Kirchengemeinde Caputh am Donnerstagabend zu einer Gesprächsrunde eingeladen hatte, rollten auch Tränen. Die Gäste des Abends waren aufgefordert, ihre Gedanken zur Schändung der Caputher Kirche zu teilen und nachzudenken, wie damit umzugehen ist. Der heilige Ort, an dem Hochzeiten, Taufen, Bestattungen gefeiert werden, an dem man Gott begegnet: Mancher Christ verlor die Fassung.
Sechs 13- bis 15-jährige Kinder und Jugendliche – die meisten Mädchen – hatten am 2. Oktober in der Kirche gewütet, den Erntedank-Altar und eine historische Lampe zerstört, die Spendenkasse geplündert. Auf einer Kirchenbank wurden menschliche Exkremente gefunden. In den Gipsabdruck der Taufschale – das Original wird nur zu Taufen hervorgeholt – wurde uriniert. Die Polizei ermittelt wegen „Störung der Religionsausübung“. (PNN berichteten).
Fast 50 Caputher kamen zur von Superintendent Bertram Althausen moderierten Gesprächsrunde ins Kirchengemeindehaus. Man fühlte sich an die zehn Jahre zurückliegende Friedhofsschändung erinnert: Grabsteine wurden von jungen Mädchen umgestürzt, die ganze Bürgerschaft war tief betroffen. Auch die Kirchenschändung sei keine Tat, die allein gegen Christen gerichtet war, wie es hieß: Handglockenchor und Caputher Musiken nutzen das Haus. Nicht nur Weihnachten ist die offene Kirche Treffpunkt. Und nicht nur zu Gottesdiensten.
Zu wenige Jugendangebote im Ort? Defizite in Kitas und Schulen? In diesem Fall greifen die üblichen Reflexe nicht. Der Jugendklub ist auf der anderen Straßenseite und es gibt in Vereinen und Sport ein riesiges Betätigungsfeld. Grundschulen und Kitas leisten weitgehend anerkannte Arbeit – Wertvermittlung müsse ohnehin vor allem in Elternhäusern stattfinden. Versäumnisse? Auch hier wehrte sich die Runde vor Pauschalurteilen. Es gebe auch Kinder und Jugendliche, die über die Schändung bitter geweint hätten.
Und doch scheint in manchen Familien etwas schief zu laufen. Nicht immer ist es Dummheit oder böser Wille. Pfarrer Hans-Georg Baaske nannte ein ihm bekanntes Beispiel einer allein stehenden, schichtarbeitenden Mutter mit drei Kindern. In der rasenden Leistungsgesellschaft bleibt in manchen Familien kaum Zeit, tiefere Werte vorzuleben. Kinder sind allein gelassen mit einer Medienwelt, die Aufmerksamkeit erlangen will, indem sie Grenzen bricht. Die Tabuschwelle sinkt und sinkt. Ältere Teilnehmer erinnerten sich an den Apfelklau in Nachbars Garten. Ungleich größer sei der Schaden, wenn Häuserfassaden mit Graffiti beschmiert werden. Und auch die Verletzung der Kirche sei im dumpfen Bewusstsein geschehen, durch eine Grausamkeit Aufmerksamkeit zu erlangen.
Schnell wurde an dem Abend klar, dass man die Welt nicht anhalten kann. Zumindest in Caputh sollen aber Akzente gesetzt, „aus dem Bösen etwas Gutes geschöpft werden“, wie es hieß. Die Täter sollen nicht gebrandmarkt werden, von einem Täter-Opfer-Ausgleich war die Rede. Der vielleicht schönste Vorschlag: Eine ältere Caputherin will gemeinsam mit den Tätern die Kirche bewachen. Nicht immer kann das Haus bisher besetzt werden, wenn die Türen an Saison-Wochenenden geöffnet sind. Ein Mitglied der Jungen Gemeinde hatte eine zweite hilfreiche Idee: Das Gespräch mit den Tätern nicht von Erwachsenen, sondern unter Jugendlichen zu führen. Mancher im Raum erwartet irgendwann eine Entschuldigung. Davor, das wurde an diesem Abend deutlich, muss Einsicht stehen – und Orientierung. Einer der Rowdies hat den Kontakt gesucht: Er klopfte an der Kirchentür im Glauben, hier lebt der Pfarrer.
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